Psychosomatik/Psychiatrie
Blomenburg Privatklinik
Burgstraße 1
24238 Selent
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Nächstes Jahr wird alles anders?
Gute Vorsätze funktionieren meist nicht. Wer sich ändern will, sollte nicht mehr, sondern weniger machen.
Laut einer DAK-Studie zu den guten Vorsätzen für das neue Jahr wünschten sich Ende 2020 zwei Drittel der befragten Menschen „weniger Stress (65 Prozent)“, dicht gefolgt von „mehr Zeit für die Familie (64 Prozent)“ und „mehr Zeit für sich selbst (51 Prozent)“. Die Klassiker „mehr Sport (60 Prozent)“, „gesünder ernähren (53 Prozent)“ und „abnehmen (34 Prozent)“ waren selbstverständlich auch dabei. Aber der Wunsch, weniger zu tun, um Zeit für das wirklich Wichtige zu haben, dieser Wunsch übertraf alle anderen.
Zeit für sich: Diese Ressource nutzt auch Dr. Stephanie Grabhorn in der Arbeit mit ihren Patientinnen und Patienten. Als Chefärztin der Blomenburg Privatklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik leitet sie das burgähnliche Haus in Selent an der schleswig-holsteinischen Ostsee seit 2019. Die Akutklinik ist auf die Behandlung von Stressfolgeerkrankungen wie Burnout, Depression, Angst- und Schlafstörungen spezialisiert. Wer sucht hier Hilfe? „Vor allem die Leistungsträger unserer Gesellschaft“, sagt die 53-Jährige Psychiaterin und Psychotherapeutin und räumt damit gleich ein weit verbreitetes Vorurteil aus. „Wir arbeiten hier nicht mit gelangweilten Managern und Managerinnen, sondern mit Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sehr hohe Ansprüche stellen an sich selbst.“ Beispielsweise, alles immer perfekt machen zu wollen, kontrollieren zu müssen, niemanden um Hilfe bitten zu können. Menschen, die niemals „Nein“ sagen, keine Grenzen ziehen, an sich selbst zuletzt denken. Die in ihrem Bestreben, alles allein und perfekt stemmen zu wollen, irgendwann scheitern.
So wie Melanie K. (Name von der Redaktion geändert). Die 43-Jährige Grundschullehrerin hat zwei Kinder, ist – wie viele Menschen, denen im Laufe er Zeit die Aufmerksamkeit für sich und ihr Gegenüber abhandenkommt – „mittelglücklich“ verheiratet, so Dr. Stephanie Grabhorn, die die Patientin vier Wochen lang in ihrer Klinik behandelte. Melanie K. nimmt ihre Tätigkeit als Lehrerin sehr ernst, sie ist eine gute Mutter, die Kinder sind gut in der Schule, nach außen hin führt sie eine gute Ehe. „Und dann kam Corona“, sagt Dr. Grabhorn. Plötzlich saß die ganze Familie zuhause, die Kinder im Home-Schooling, der Mann im Home-Office. Von heute auf morgen muss Melanie K. online unterrichten, sich mit ganz neuen Technologien und didaktischen Konzepten auseinandersetzen. Und natürlich gibt es Kolleginnen und Kollegen, die das Neue sofort beherrschen, die Messlatte nach oben schrauben, den Takt vorgeben, keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigen.
„Für Menschen, die zum Perfektionismus neigen, stellt eine solche Situation eine permanente Überforderung dar“, diagnostiziert Dr. Grabhorn. „Das Vertraute, Kontrollierbare bricht weg, das Unbekannte und Unbeherrschbare bleibt. Im permanenten Vergleich mit anderen empfinden sie ihre eigene Leistung häufig als unzureichend und versuchen sie mit noch mehr Engagement auszugleichen.“ Diese Menschen seien schon ohne Krise mit hoher Drehzahl unterwegs. In der Krise liefen sie Gefahr, diese bis zur totalen Erschöpfung auszureizen.
Auf Melanie K. stürzte alles ein: die überforderten Kinder zu Hause, die überforderten Schülerinnen, Schüler und Eltern in den virtuellen Klassenräumen, die Selbstüberforderung mit der neuen Technik und ihren Tücken. Konnte sie eine der vielen Aufgaben nicht zufriedenstellend lösen, gab sie sich selbst die Schuld daran. „Auch das ist eine typische Reaktion unserer Patientinnen und Patienten“, sagt Dr. Stephanie Grabhorn. „Das Versagen der anderen, das Nicht-Funktionieren von Strukturen hat immer irgendwas mit ihnen zu tun.“ Die logische Folge dieser Annahme sei, dass es nun noch mehr Anstrengung bedürfe, um diesen unhaltbaren Zustand zu ändern. Ein Teufelskreis. Bei Melanie K. stellten die Zumutungen durch Corona ihr ohnehin schon fragiles Selbstkonzept aus immer mehr Leistung bei immer weniger Ressourcen existenziell in Frage. Der Motor kam erst ins Stottern, dann zum Stillstand. Burnout.
Menschen, die an Burnout erkrankt sind, haben es häufig verlernt, sich selbst wahrzunehmen.
„Burnout ist eine Form der Depression“, erklärt Dr. Grabhorn. „Patientinnen und Patienten zeigen die klassischen Symptome: Sie sind gereizt, antriebslos, die Stimmung ist am Boden. Sie ziehen sich zurück, vernachlässigen soziale Kontakte, wollen nicht mehr aufstehen.“ Viele verspürten einen überwältigenden, passiven Ruhewunsch, das Gefühl: „Ich will einfach nur weg!“ Sehr häufig litten Betroffene unter Grübelei. „Sie haben immer wiederkehrende Gedanken, die um ein unlösbares Thema kreisen“, erzählt Dr. Grabhorn. „Sie wissen, dass sie etwas tun müssen, wissen aber nicht, wie.“ Bei manchen Menschen kämen körperliche Symptome, so genannte Befindlichkeitsstörungen, hinzu: Schlafstörungen, Kopf- und Bauchschmerzen.
Melanie K. begab sich rechtzeitig in die Klinik. Zum ersten Mal in ihrem Leben drehte sich alles nur um sie – nicht umgekehrt. Das vierwöchige Programm bestand aus zwanzig Stunden Einzel- und Gruppentherapie, Kunst- und Bewegungstherapie, sie wurde auf Achtsamkeits-Spaziergänge geschickt, stellte ihre Ernährung um. „Als erstes muss man gemeinsam herausfinden, was die Ursache für den erhöhten Leistungsanspruch ist“, erklärt Dr. Grabhorn. „Das kann beispielsweise ein leistungsorientiertes Elternhaus sein, eine schwierige Geschwisterkonstellation, nie erfahrene Anerkennung der Eltern.“ Im nächsten Schritt erforschen die Patientinnen und Patienten ihre Ressourcen. Es geht darum, die für sie belastenden Gefühle, verinnerlichten und jahrzehntelang eingeübten Glaubenssätze zu ändern: beispielsweise „Du bist nur liebenswert, wenn Du perfekt bist!“ oder „Du bist so wenig wert, Du kommst immer zuletzt!“ Dabei lasse bereits die einfache Frage nach den eigenen Bedürfnissen viele Patientinnen und Patienten ratlos zurück. „Menschen, die an Burnout erkrankt sind, haben es häufig verlernt, sich selbst wahrzunehmen“, erzählt Dr. Stephanie Grabhorn. „Die sagen mir dann: ‚Ich habe keine Wünsche!‘“ Oder arbeiteten die Angebote der Klinik, etwa, sich beim Sport zu erproben oder verborgene Talente zu entdecken, „wie eine weitere Aufgabe ab. ‚Ich bin heute Rad gefahren!‘ sagen sie dann stolz. Aber sie hatten keinen Spaß dabei. Für sie war es nur eine weitere Anforderung von außen, die sie bewältigt haben.“
Dieses Hamsterrad gilt es zu durchbrechen. Können die eigenen Wünsche erst einmal benannt und gefühlt werden, gehe es darum, sie nicht gleich wieder weg zu argumentieren. Auch das ein immer wiederkehrendes Spiel des allmächtigen Verstandes: Eine Patientin über fünfzig beispielsweise äußerte den von klein auf gehegten Wunsch, Fußball zu spielen. Sofort türmten sich die Gegenargumente auf wie ein Tsunami: „Du bist zu alt!“, „Das ist doch lächerlich!“, „Wie wird das denn aussehen, du, in kurzer Hose!“ … die Reihe ließe sich endlos fortführen.
Ziel der Therapie ist es, diese Denkmuster zu durchbrechen, sie durch neue zu ersetzen, zu erproben und über das eigene Erleben zu festigen. Während der vierwöchigen Therapie werden auch die Angehörigen hinzugezogen, um Veränderungspotenzial und -möglichkeiten zu finden. „Menschen, die sehr nah dran sind, sehen häufig Möglichkeiten, die der Patientin oder dem Patienten verborgen sind“, erläutert Dr. Stephanie Grabhorn. „So können bereits vor Rückkehr der Patientin oder des Patienten in den normalen Alltag Vorkehrungen getroffen werden, die die krank machenden Strukturen verändern.“ Das sei immer die größte Gefahr: Zwar werden in der vierwöchigen Therapie viele Erkenntnisse gewonnen, Gefühle und neue Verhaltensmöglichkeiten entdeckt. Kehrt die betroffene Person aber in genau den gleichen Alltag zurück, der sie zuvor bedrückt hat, fallen viele in die alten Verhaltensmuster zurück. Denn die sind äußerst wirkmächtig.
Es dauert einige Zeit, bis sich neue Verhaltensweisen etablieren. Man muss sie üben, vom Kopf in die Seele und von dort in das Körpergedächtnis wandern lassen. Ist das neue Verhalten erst einmal körperlich verankert, ist es schwierig, es zu ignorieren. Sie kennen das vom Zähneputzen. Was ist das für ein innerlicher Erklär-Aufwand, wenn Sie es mal ausfallen lassen wollen! Oder Sie räumen ein paar Schubladen um. Es wird eine Zeit lang dauern, bis Sie mit der neuen Situation zurechtkommen. Auf der Suche nach Ihren Dingen, werden Sie immer zuerst die Schublade aufziehen, in der sich bis zuletzt das Gewünschte befunden hat.
Das Wichtigste ist die Selbstfürsorge: die eigenen Wünsche und Bedürfnisse erkennen, erspüren und zulassen!
Wer sich verändern will, muss also Gedanken und Gefühle in Handlung umsetzen. Banal gesagt: Wer ein Stück Schokolade will, muss sich dieses nehmen. Geschenkt. Was aber, wenn der Wunsch lautet: Ich will aus meinem Job raus?
„Fangen Sie mit kleinen Schritten an“, rät Dr. Stephanie Grabhorn. „Das Wichtigste ist die Selbstfürsorge: die eigenen Wünsche und Bedürfnisse erkennen, erspüren und zulassen!“ Die allein geben viel Kraft, nehmen Ängste. Dann gehe es darum, diese Wünsche in kleinen Schritten umzusetzen
Die kleinen Schritte sind wichtig: „Viele Menschen scheitern daran, dass sie alles auf einmal wollen. Wer denkt ‚Jetzt beginne ich mein Leben neu!‘ bürdet sich die nächste Überforderung auf, die gleich wieder in die Erschöpfung führt.“ Also: mit dem Obstsalat zum Frühstück anfangen. Den gab es sonst nie. Die Joggingschuhe rauskramen und einmal die Woche eine kleine Runde drehen. Endlich die schon lang ausgeguckte Ausstellung ansehen. Nichts bagatellisieren! Nichts schieben! Einfach machen. Und zwar das, was möglich ist, nicht das, was zu groß und von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Alte Denkmuster lieben Misserfolge. Die nehmen sie als Bestätigung für das, was sie immer schon von Ihnen dachten. Wir machen sie dadurch mächtig. Dabei wollten wir doch Fußball spielen!
Auch das Nein-Sagen kann man üben: „Das Wichtigste ist: Nicht sofort reagieren! Vor der Antwort bis zehn zählen. Zurückmelden, dass man kurz darüber nachdenken wolle. Erst einmal auf sich wirken lassen. Das gilt übrigens auch für die innere Stimme, die immer was will: Fragen Sie sich: Muss das wirklich jetzt sein? Muss es überhaupt sein? Oder: Kann es jemand anderes übernehmen?“ Auch das muss man üben. „Veränderungsangst“, so Dr. Grabhorn, „ist fast immer die Angst vor der Veränderung, nicht vor der Veränderung selbst.“
Melanie K. hat sich dieser Angst gestellt. Aus ihrem Aufenthalt in der Blomenburg nahm sie die Kraft mit, einzelne Stellschrauben in ihrem Leben neu zu justieren. Sie reduzierte ihre Stundenzahl an der Schule, vereinbarte mit ihrem Mann verbindliche Betreuungszeiten für die Kinder und verbindliche Auszeiten für sich selbst. Sie hinterfragt an sie herangetragene Anforderungen und schützt sich vor ihnen selbst. Dr. Stephanie Grabhorn hält nach wie vor Kontakt zu ihr. „Es geht ihr gut“, sagt sie. „Aber es bleibt Arbeit. Für alle Menschen bleibt es Arbeit – ein Leben lang.“
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