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Glücklich alt werden - Asklepios Gesundheitsmagazin

Geriatrie. Altern.

Glücklich alt werden

Bild: Alte Frau auf Schaukel

„Sex gehört im Alter unbedingt dazu“, sagt unser Experte Dr. Jürgen Bludau und erklärt im Interview, warum altern auch Spaß machen kann.

Schluss mit den Tabus!

Interview: Janina Darm

Dr. Jürgen BludauChefarzt Geriatrie an der Asklepios Klinik Lich, hat ein Buch über das Altern geschrieben. Ehrlich, direkt – und gespickt mit vielen wichtigen Botschaften, die zum Nachdenken und Handeln anregen.

Bild: Ältere Frau betrachtet sich im Spiegel

© iStock/1093956978

Herr Dr. Bludau, die Menschheit sucht seit Jahrhunderten nach Mitteln und Wegen, den Alterungsprozess hinauszuzögern oder ganz zu verhindern. Warum können wir das Älterwerden nicht akzeptieren?

Sicherlich existiert seit jeher eine gewisse Angst vor dem, was im Alter auf uns zukommt – Schmerzen, gegebenenfalls der Verlust der Selbstständigkeit, schließlich der Tod. Diese Perspektive wird mit zunehmendem Alter immer präsenter. Dementsprechend hat sich inzwischen eine ganze Anti-Aging-Industrie gebildet, die vorgibt, die Prozesse beeinflussen und aufhalten zu können.

In den USA lassen Menschen nach dem Ableben ihr Gehirn oder den gesamten Körper einfrieren – in der Hoffnung, dass die Wissenschaft sie eines Tages wiederbeleben kann. Was halten Sie von solchen Maßnahmen?

Das ist Geldmacherei und mit der größte Unsinn, von dem ich je gehört habe.

Einen schockgefrosteten Dr. Jürgen Bludau wird es demnach nicht geben. Haben Sie denn keine Angst vor dem Alter?

Ich bin 63 Jahre alt. Ich habe keine Angst, wohl aber großen Respekt vor dem Älterwerden. Währenddessen einigermaßen fit zu bleiben – geistig wie körperlich –, ist das Allerwichtigste. Und man muss wissen: Das gelingt nicht von allein. Man muss etwas dafür tun. Das verkennen viele und hoffen stattdessen auf Cremes und Vitaminpräparate.

Botox- und Hyaluron-Unterspritzungen stehen in Hollywood und auch hierzulande ebenfalls hoch im Kurs – selbst bei den unter 30-Jährigen …

Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen. Die Schönheitsindustrie verkauft Eingriffe wie diese als „Kleinigkeit“ – dabei kann es auch hier zu Infektionen und Narbenbildung kommen. Und nicht nur das: Die US-Schauspielerin Jamie Lee Curtis bekannte, dass sie im Zuge von Schönheitsbehandlungen süchtig nach dem Schmerzmittel Vicodin wurde. Ihr Fazit: „Hat man sein Gesicht einmal vermurkst, bekommt man es nicht zurück.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ein Satz, der wohl auch auf Lebenserfahrung basiert. Warum ist diese Facette des Alters in unserer Gesellschaft so wenig präsent und geschätzt?

Eine gute Frage. Allerdings gilt dies vor allem für die westliche Welt. In der asiatischen Kultur hingegen werden Ältere als weise Ratgebende betrachtet. Als Menschen, von deren Wissen man profitieren kann… Diese Sichtweise existiert bei uns kaum noch. Dabei hat die Generation der 80- und 90-Jährigen unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Nichts heraus aufgebaut, das Wirtschaftswachstum angekurbelt und damit die Grundlagen für unseren heutigen Wohlstand gelegt. Das wird allzu oft vergessen. Und spiegelt sich sogar im Bereich der Medizin wider: Die Geriatrie gilt als nicht sonderlich attraktives Arbeitsfeld, es gibt nicht einmal eine Facharzt-ausbildung in diesem Bereich – und manche Medizinstudent:innen kommen, wenn überhaupt, nur über eine Vorlesung damit in Berührung. Dabei ist die Geriatrie angesichts unserer alternden Gesellschaft einer der wichtigsten Bereiche der kommenden Jahre und Jahrzehnte.

Wir müssen offen darüber reden – und sicherlich sollten die Generationen auch ein Stück weit aufeinander zugehen und voneinander lernen.

Dr. med. Jürgen BludauChefarzt der Geriatrie, Asklepios Klinik Lich

Wie schaffen wir es, das Thema Altern aus der Tabu-Zone zu holen?

Wir müssen offen darüber reden – und sicherlich sollten die Generationen auch ein Stück weit aufeinander zugehen und voneinander lernen. Heißt konkret: Wir müssen das Altern ehrlich beschreiben und klarstellen, dass es nicht zwangsläufig Demenz, Starrsinn und Gebrechlichkeit bedeutet. Andersherum sollten sich ältere Generationen darum bemühen, gegenüber Technik und Innovationen aufgeschlossen zu sein und zu bleiben. Man muss ja nicht unbedingt auf TikTok sein und alle halbe Stunde einen Tweet absetzen. Aber es kann nicht schaden, zu wissen, wie Soziale Netzwerke funktionieren. Zumal Errungenschaften wie Skype oder Facetime Menschen und Familien auch über große Distanzen zusammenführen können. Es existieren also auch Vorteile in der modernen, technologisierten Welt.

Bild: Menschen zweier Genrationen im Austausch

© iStock/77188584

Welche drei Aspekte machen Lust aufs Alter?

Erstens: Man hat endlich Zeit für Dinge, für die man vorher keine Zeit hatte. Zweitens: Man erfährt Gelassenheit. Dinge, die einst wichtig erschienen, bekommen einen anderen Stellenwert, und man erhält einen veränderten Blick aufs Leben. Und drittens: Neues ausprobieren. Auch dafür hat man endlich Zeit und Muße. Ob man Kontaktstudent an der Uni wird und Vorlesungen beiwohnt, sich ein Wohlmobil leistet und damit die Welt erkundet oder eine neue Sportart erlernt – ab dem Rentenalter gibt es kaum Grenzen. Das ist etwas Wunderbares und beschwingt Körper und Geist.

Was entgegnen Sie Menschen, die im Alter Tag für Tag über Zipperlein klagen und sich nach ihrer Jugend zurücksehnen?

Zugegebenermaßen: Es gibt viele, die so ticken. Aber ich sage immer: „Es gibt kein Zurück, wir gehen immer nur nach vorn.“ Natürlich hüpft man mit 80 Jahren nicht mehr wie ein 20-Jähriger durch die Gänge. Hier ist es wichtig, die Gegebenheiten zu akzeptieren. Denn das ist der erste Schritt, um Zufriedenheit zu erlangen. Wichtig auch: Man sollte mit seinem Arzt zusammenarbeiten, ihn als Partner betrachten, auch mal herausfordern, sich informieren oder eine zweite Meinung einholen. Ist dies der Fall, fühlen sich Ärztinnen und Ärzte ernst und wichtig genommen – der Austausch wird intensiver, beide Seiten profitieren. Klagen allein hat noch niemandem geholfen.

Und was ist die größte Fehlannahme im Hinblick auf die zweite Lebenshälfte?

Dass man automatisch krank, gebrechlich und dement wird. Diese Erwartungshaltung ist schlichtweg falsch. Natürlich ist das Risiko, bestimmte Erkrankungen zu erleiden, höher als in jüngeren Jahren. Aber die Entwicklung tritt keinesfalls notwendigerweise ein, und sie ist auch nicht vorgezeichnet. Man kann aktiv dagegen steuern.

Und wie?

Zunächst einmal muss man alles daransetzen, aktiv und mobil zu bleiben. Es gibt nichts Schlimmeres, als im Alter an seine vier Wände gefesselt zu sein und nicht selbstständig vor die Tür gehen zu können.

Bild: Ältere Damen lachend auf einer Bank

© iStock/1384223678

Was empfehlen Sie, damit dieser Fall nicht eintritt?

Sport und eine stetige Gewichtskontrolle. Bitte nicht falsch verstehen: Wir müssen nicht alle spindeldürr sein. Doch starkes Übergewicht fördert multimorbide Erkrankungen und lässt uns schneller altern. In diesem Zuge ist auch Krafttraining eine wichtige Komponente: Es regt das Muskelwachstum sowie den Stoffwechsel an und sorgt insgesamt für mehr Stabilität im Körper. Darüber hinaus sollte man in seinen 60er Jahren unbedingt den eigenen „Status quo“ erheben: Lassen Sie Ihre Augen und Ihr Gehör überprüfen, gehen Sie zur Fußpflege, und besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob Eingriffe für die kommenden Jahre absehbar sind, die man ggf. auch jetzt schon durchführen könnte. Der Grund: Mit zunehmendem Alter kommt man nach einer Operation erwiesenermaßen deutlich schwerer wieder auf die Beine. Es hilft, die Gesamtsituation im Auge zu behalten. Am Ende gilt: Mobilität ist Lebensqualität und garantiert die eigene Selbstständigkeit. Daran sollte man sich immer wieder erinnern.

Intimität ist gut für unsere Gesundheit und das Immunsystem. Dass Sex nur Jüngeren vorbehalten ist, ist eine Mär und sollte endlich raus aus den Köpfen.

Dr. med. Jürgen Bludau

In Ihrem Buch ist in Bezug auf das Alter auch von „Sex, Drugs und Rock’n’Roll“ die Rede. Wie darf man das verstehen?

Diese Frage wird mir des Öfteren gestellt. Und das ist gut so, denn auch hier müssen wir aufklären: Sex gehört im Alter unbedingt dazu – ob zu Hause oder im Pflegeheim! Glauben Sie nicht, dass das mit 70 oder 80 Jahren vorbei ist. Intimität ist gut für unsere Gesundheit und das Immunsystem. Der Akt an sich muss nicht aussehen wie bei Mittzwanzigern – aber dass Sex nur Jüngeren vorbehalten ist, ist eine Mär und sollte endlich raus aus den Köpfen.

Und „Drugs und Rock’n’Roll“ gehören ebenfalls dazu?

Ja, in gewisser Weise schon. Ich beziehe mich hier nicht auf psychotrope Substanzen, sondern auf die Tatsache, dass die Medikamenteneinnahme für viele Teil des Lebens wird – und man bewusst damit umgehen sollte. Wer Tabletten scheut, sie ab und zu einnimmt, dann wieder nicht, riskiert im schlechtesten Fall sein Leben. Wichtig auch: Man sollte immer eine Medikamentenliste mit sich führen, damit Externe im Notfall wissen, was eingenommen wird. Auch das kann Leben retten. Und zum Thema „Rock’n’Roll“: Ich empfehle Tanzen als Sport. Es bietet eine wunderbare Kombination aus sozialen Kontakten und Interaktionen sowie einem fundierten Konditions- und Koordinationstraining. Etwas Besseres kann es kaum geben.

Bleibt nur noch eine Frage: Was sind die drei wichtigsten Dinge, die Sie im Rahmen Ihrer Arbeit in der Geriatrie gelernt haben?

Zunächst einmal: Akzeptanz. Es gibt Dinge, die kann kein Arzt auf dieser Welt ändern oder heilen. Wichtig ist, dass man dennoch niemals aufgibt und immer versucht, das Beste aus seiner Situation zu machen. Das korrespondiert auch gleich mit der zweiten Erkenntnis: Man sollte im Hier und Jetzt leben und neugierig bleiben. Wissen ist Macht – das wusste schon der englische Philosoph Francis Bacon. Warum sich technische Innovationen also nicht von Enkeln, Nichten und Neffen erklären lassen? Das hält den Geist fit und uns alle kommunikativ. Und last but not least: Entscheidend ist die Fähigkeit, zu verzeihen und sich auch selbst einmal entschuldigen zu können. Es gibt nichts Schlimmeres als zerrüttete Familienverhältnisse oder zerstörte Freundschaften. Alleinsein im Alter ist die größte Gefahr. Davor sollte man sich schützen.

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Bild: Dr. Bludau

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Dr. med. Jürgen Bludau
Chefarzt der Geriatrie, Asklepios Klinik Lich

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