Würdezentrierte Therapie: Ein besonderer Blick aufs Leben
Palliativmedizin. Sterbebegleitung.
Ein besonderer Blick aufs Leben
Welche Geschichte Ihres Lebens würden Sie erzählen, wenn Sie nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben hätten?
Würdezentrierte Therapie
An der Asklepios Klinik Hamburg – St. Georg bietet Palliativbegleiterin Sabrina Görlitz Patient:innen die aus Kanada stammende Würdezentrierte Therapie an. Sie soll Menschen dabei helfen, sich mit dem bevorstehenden Versterben auseinanderzusetzen, und vor allem die Erinnerung daran wecken, was die Frauen, Männer und ihr Leben ausgemacht hat.
Die Vergangenheit reflektieren
Welche Geschichte Ihres Lebens würden Sie also erzählen, wenn Sie nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben hätten? Die Antwort auf diese Frage ist so individuell wie jeder Einzelne von uns. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit. „Noch einmal die eigene Vergangenheit zu reflektieren, Erlebnisse und Dinge preiszugeben, die und für die man auch nach dem Tod stehen möchte – das ist für viele Menschen etwas Wunderbares, das sie regelrecht aufblühen lässt“, erzählt Sabrina Görlitz (41).
Die ausgebildete Journalistin und zertifizierte Palliativbegleiterin initiierte vor rund einem Jahr mit Unterstützung durch Dr. Markus Faust, Chefarzt der Palliativstation an der Asklepios Klinik St. Georg, die sogenannte Würdezentrierte Therapie in dem Hamburger Krankenhaus und berichtet von durchweg positiven Rückmeldungen der Patient:innen im Hinblick auf das besondere Angebot.
„Der aus Kanada stammende und vom Palliativpsychologen Prof. Dr. Harvey Max Chochinov entwickelte Therapieansatz soll vor allem das Würdegefühl der Menschen verbessern und sie in einer Zeit unterstützen, die häufig in besonderem Maße von ihrer Krankheit geprägt ist“, erklärt Görlitz. Den Blick auf die Zeit vor der Erkrankung zu richten, die Persönlichkeit in den Fokus zu rücken – das lasse viele Patient:innen in einem allgemeinen Gefühl der Schwäche erstarken und vermittle ihnen die Erkenntnis, noch einmal etwas leisten zu können und nicht nur als todkranker Mensch wahrgenommen zu werden.
Ein Rucksack voller Lehren
Das Therapievorgehen ist dabei recht simpel: Görlitz vereinbart zunächst einen Kennenlerntermin mit interessierten Patient:innen, in welchem sie ihnen das Konzept erläutert und den Ablauf erklärt. Im Folgetermin führt sie schließlich das entscheidende, rund einstündige Gespräch mit ihren Klient:innen durch: Sie interviewt sie mithilfe eines flexiblen Fragenkatalogs und stößt im Dialog meist schnell auf jene Aspekte, die das Leben der Patient:innen beeinflusst und ausgemacht haben.
„Die Lebensläufe der Männer und Frauen sind wahnsinnig bunt und vielfältig“, verrät die gebürtige Schleswig-Holsteinerin. „Manche berichten von einer besonders glücklichen Kindheit. Dem Genuss und der Dankbarkeit, nach Kriegsende eine Apfelsine kosten zu dürfen. Auf diese Weise hinterlassen sie ihren Kindern und Enkelkindern einen kleinen Rucksack voll mit Lehren, die sie zeit ihres Lebens gewonnen haben. Andere erinnern sich zum Beispiel am liebsten an jene Zeiten zurück, in denen sie auf der Reeperbahn gefeiert oder Musik gemacht haben, voller Leben und Tatendrang waren. Es ist die Gelegenheit, noch einmal zu dokumentieren: Mein Leben war real – auch, weil andere von mir hören werden.“
Im Anschluss an das Gespräch transkribiert Sabrina Görlitz die datenschutzkonform erhobenen Zeilen und verfasst einen Text in Monologform, der die Geschichte der Patient:innen möglichst eins zu eins in ihren eigenen Worten wiedergibt. „In einem dritten Termin lese ich den Patient:innen ihre Geschichte dann noch einmal vor, sie haben die Möglichkeit, Korrekturen anzubringen, Passagen auszutauschen oder zu streichen. Und beim vierten und letzten Termin erhalten Sie ihre Geschichte in Form einer individuell gestalteten Mappe, die sie beispielsweise Familie und Freunden übergeben können – ganz wie sie möchten“, so Görlitz.
Palliativmedizin | Asklepios Klinik St. Georg
Halt und Kraft schenken
Für die Mutter eines Sohnes ist es ein wohltuender Gedanke, die Menschen auf diese Art und Weise unterstützen und sie in ihren letzten Tagen und Wochen ein Stück weit begleiten zu können. „Für mich ist diese Arbeit einfach perfekt, da ich mein journalistisches Handwerk mit meinen Erfahrungen und Weiterbildungen im sozialen Bereich verbinden kann“, erzählt sie. „Die Auseinandersetzung mit dem Leben anderer Menschen schärft natürlich auch den Blick für das eigene Dasein, und ich stelle mir oft die Frage: Welche Geschichte werde ich einmal erzählen?“
Die Patient:innen nicht nur als kranke Menschen wahrzunehmen, als „den Herrn von Zimmer 17“ oder „die Frau mit dem Lungenkarzinom“ – das wünscht sich Sabrina Görlitz sehr und hofft, auch Kolleg:innen für das Thema Patient:innenwürde zu sensibilisieren. „Bei all dem Zeitdruck, den man auf den Stationen hat – es lohnt sich, einfach mal zu fragen: Was muss ich über Sie wissen, damit ich Sie gut behandeln kann? Das bewirkt unheimlich viel und schenkt den Betroffenen Halt und Kraft. Wenn wir uns das immer wieder bewusstmachen, ist viel gewonnen.“
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