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Traumaberatung in der Geburtshilfe

Geburt. Schwangerschaft.

Traumaberatung in der Geburtshilfe

Bild: Frau mit Wochenbettdepression

Der Verlauf einer Geburt ist nicht planbar. Es ist das Leben, das sich hier Bahn bricht. Jede fünfte werdende Mutter erlebt Komplikationen unter der Geburt. Hebamme und Traumaberaterin Irmtraut Borgert-Nicks an der Hamburger Asklepios Klinik Barmbek ist für sie da

Du bist nicht Schuld!

Das Gefühl der Schuld sei einer der häufigsten Konflikte. „Frauen, die eine schwere Geburt erleben, zweifeln, ja verzweifeln häufig an sich selbst“, sagt Irmtraut Borgert-Nicks. Die 68-jährige arbeitet als Traumaberaterin und Trauerbegleiterin in der Geburtshilfe der Asklepios Klinik Barmbek. „Sie glauben, versagt zu haben, nicht alles gegeben, ihrem Kind keinen guten Start bereitet zu haben.“

Das werdende Leben, so die erfahrene Hebamme, sei für Frauen mit Beginn der Schwangerschaft das kostbarste, das sie haben und in sich schützen. Gerät es unter der Geburt in Gefahr, so hinterlässt diese existenziell bedrohliche Erfahrung je nach Schwere der Komplikationen für Mutter und Kind tiefgreifende seelische Verletzungen.

Geburtstraumata sind sehr individuell

Zu schnell, zu lange, zu schmerzhaft oder völlig überfordernd: Frauen unter der Geburt erleben sich in einer Ausnahmesituation. Die Auswirkungen auf sich und ihre Seele können sie nicht vorhersehen und auch nur bedingt beeinflussen: Jede Geburt ist einmalig. Die erste Geburt ist immer die erste im Leben einer Frau: Sie kann auf keine eigenen Erfahrungswerte zurückgreifen. Und selbst wenn, beim zweiten oder dritten Kind, muss nichts von dem, was war, wieder so sein. Das ist es, was eine Geburt zum Abenteuer macht – oder zum Albtraum.

Einer der häufigsten Trauma-Auslöser ist der Notfallkaiserschnitt. „Da muss es ungeheuer schnell gehen“, erklärt Borgert-Nicks. „Es geht um Minuten, kaum jemand hat Zeit, zu erklären, was passiert, warum es passiert, alle sind in Alarm-Stimmung … diese Situation kann in einer Frau Gefühle der absoluten Ohnmacht und Hilflosigkeit auslösen.“ Auch langwierige oder zu schnelle Geburten belasten Frauen, ebenso wie die Geburt eines kranken, zu früh geborenen oder behinderten Kindes.

Aber auch weniger erschütternde Geburtsverläufe hinterlassen Wunden. Bereits der übergroße Wunsch, eine bilderbuchartige Geburt erleben zu müssen, kann – wenn sich der Wunsch nicht erfüllt – tiefe Selbstzweifel auslösen. Eine Entwicklung, die Irmtraut Borgert-Nicks mit Sorge betrachtet: Der Druck auf Schwangere, Gebärende und junge Mütter werde immer stärker. Frauen, die ihr Kind aus welchen Gründen auch immer, nicht natürlich zur Welt bringen konnten, schämen sich, sagen Dinge wie: „Das darf ich aber niemandem erzählen!“ Die natürliche Geburt ist zur Norm einer sich ständig selbst optimierenden Gesellschaft geworden. Wer davon abweicht, muss sich rechtfertigen. Selbst die Inanspruchnahme einer schmerzlindernden PDA kann Scham-Gefühle auslösen. Dabei kann gerade eine Schmerzerleichterung bei Geburtskomplikationen – das Kind liegt falsch im Becken, die Geburtsdauer verlängert sich dadurch, Interventionen werden notwendig – für Mutter und Kind Reserven erschließen und somit oftmals doch eine Spontangeburt ermöglichen.

Hebamme aus Leidenschaft

Bild: Mutter nimmt Babyhand

© iStock/1195767756

Irmtraut Borgert-Nicks arbeitet seit 45 Jahren an der Asklepios Klinik Barmbek. Aufgewachsen im niedersächsischen Südoldenburg absolvierte sie zunächst ihre Ausbildung zur Krankenschwester im Pius-Hospital in Oldenburg, danach die Hebammenausbildung an der Hamburger Finkenau-Klinik. Mit 22 Jahren fing sie als Hebamme in der Barmbeker Klinik an.
Die zweifache medizinische Ausbildung war ihr wichtig: „Ich wollte mein Wissen rund um die Geburt und die Gesundheit der werdenden Mütter und ihrer Neugeborenen auf ein breites Fundament stellen. Mir war immer bewusst, dass es nicht nur komplikationslose Geburten gibt. In solchen Situationen wollte ich den Frauen die größtmögliche Sicherheit geben.“

Ihre Erlebnisse in der Geburtshilfe führten nach 25 Jahren dazu, dass sie sich auf Geburtstraumata und deren Behandlung spezialisierte: „Die Geburt ist in der Regel für alle Beteiligten ein unfassbares Glück. Nach unglaublich viel Arbeit und Anstrengung ist das ersehnte Baby da, Glückshormone werden ausgeschüttet, alle sind wie im Rausch“, so Borgert-Nicks. Auf der Wochenstation hingegen fällt der Hormonspiegel rapide ab. Kommen Belastungen wie Schmerzen nach GeburtsverletzungenSchlafentzug durch das Kind, Heimweh nach dem Geschwisterkind zuhause oder gar die Trennung vom Neugeborenen hinzu, das medizinisch versorgt werden muss, wird eine ohnehin als schwierig erlebte Geburt zusätzlich durch starke Erschöpfungszustände beschwert. Auch der Beginn der Stillzeit in den ersten Tagen nach der Geburt kann mit besonderen Herausforderungen verbunden sein.

Häufig wirken Frauen nach außen, wie eine junge Mutter sich zeigen soll: wohlauf, glücklich, voller Zuversicht. In Wirklichkeit aber sind sie innerlich vereist.

Irmtraut Borgert-NicksHebamme und Traumaberaterin, Asklepios Klinik Barmbek

Unterstützung vor und nach der Geburt

In der Asklepios Klinik Barmbek hat Irmtraut Borgert-Nicks ein Büro, in dem sie Frauen und Paare vor oder nach der Geburt berät. Die Ratsuchenden finden auf ganz unterschiedliche Weise den Weg zu ihr: Sie erfahren in den geburtsvorbereitenden Kursen von ihrem Angebot oder bei der Geburtsanmeldung. Sie begleitet Frauen auf der Pränatalstation, deren Schwangerschaft so vulnerabel ist, dass sie stationär aufgenommen werden müssen, manchmal über Wochen.

Frauen, die in der Asklepios Klinik Barmbek ihr Kind zur Welt gebracht haben, besucht Irmtraut Borgert-Nicks auf der Wochenstation. „Häufig wirken Frauen nach außen, wie eine junge Mutter sich zeigen soll: wohlauf, glücklich, voller Zuversicht. In Wirklichkeit aber sind sie innerlich vereist.“ So nennt sie das, wenn Frauen nach einem schwerwiegenden Erlebnis im Kreißsaal mit einer Art „Seelennarkose“ reagieren – auch das ist so ein Begriff von ihr. Dieses „sich selbst in Sicherheit bringen“ sei unbedingt zu begrüßen, nicht zu verurteilen, es rettet in dem Moment die seelische Gesundheit der Frau. Genau hier aber entsteht das Dilemma: Frauen in dieser Situation sollten sich ausruhen, sich im wahrsten Sinne eine Zeit lang „abschalten“ dürfen. Doch die junge Mutter wünscht sich für ihr Baby präsent zu sein, spürt auch den Druck, es sein zu müssen. Und natürlich braucht das Baby Zuwendung, Nähe, Bindung. Es ist überlebenswichtig für beide, dass sie miteinander in Kontakt kommen. Hier kann Irmtraut Borgert-Nicks helfen.  

Kämpfen, fliehen oder erstarren

Bild: Frau unter der Geburt

© iStock/1310897626

Eine Frau unter der Geburt kann nicht fliehen. Sie kann nur kämpfen, und wenn das nichts mehr hilft, sich dem Helferteam anvertrauen. Das gelingt aber nicht immer. Manche Frauen erleben eine Angstüberflutung, die sie erstarren lassen. „Da muss man sehr behutsam vorgehen“, sagt Traumaberaterin Irmtraut Borgert-Nicks. „Muss von Stunde zu Stunde gucken, wie sich die Mutter fühlt. Sie darin bestärken, dass alles in Ordnung ist, dass sie Zeit hat.“ Sie gehe zu den Frauen hin, stelle sich vor, breite „eine warme Decke“ aus VerständnisZuwendung und Mitgefühl um sie. „Bloß nicht gleich die Geburt ansprechen!“ Manchmal hilft es, den Blick der Mütter auf etwas anderes zu lenken.

Zu erzählen, dass das Kind wohlauf sei, auch wenn sie dessen Geburt nicht selbst erleben konnten. Ihnen zu sagen, dass es nicht nur eine Geburt gab, sondern auch eine neunmonatige Schwangerschaft, in der sie ihr Kind geborgengenährt und geschützt haben. Im Vordergrund stehe zunächst die Stabilisierung, nur behutsam tasten sich beide an die Belastungen heran. Für einige Frauen kann es auch hilfreich sein, das Erlebnis innerhalb einer Psychotherapie zu verarbeiten.

Frauen wiederum, die bereits vor der Geburt traumatisierende Erlebnisse erfahren haben, beispielsweise Gewalt, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch, suchen Irmtraut Borgert-Nicks bereits in der Schwangerschaft mehrfach auf. Ziel der Beratung ist es, einen sicheren Rahmen für sie zu schaffen. Dazu werden möglichst klare und verbindliche Absprachen zwischen der Schwangeren und dem geburtshelfenden Team vereinbart sowie weitere medizinisch notwendige und unterstützende Institutionen hinzugezogen. Das können das Team aus der Anästhesie, der Kinderklinik, Stillberatung oder Psychotherapie sein, die Babylotsen oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Seelsorge. Hilfreich ist, wenn die Frau ihre eigenen Belastungsgrenzen kennt, sodass sie in die Geburtsplanung mit aufgenommen werden können.

Traumaberatung auf Bedürfnisse abgestimmt

Bild: Beratungsgespräch

© iStock/1288949364

Es hängt von der individuellen Situation der Frau, ihren Erlebnissen und Bedürfnissen ab, wie sich die Zusammenarbeit gestaltet. Borgert-Nicks Ansatz ist strikt klientenzentriert: Sie ermutigt ihre Gesprächspartnerinnen in dem, was und wie sie etwas sagen, spiegelt einfühlsam wider, wie sie deren Erlebnisse versteht und wahrnimmt. „Gemeinsam öffnen wir damit Räume, in denen die Frauen wieder in ihre Kraft und eigene Weisheit finden. Dabei arbeite ich mit Anerkennung, nie mit Ansprüchen. Alles darf gesagt werden, alles hat seinen Platz und seine Richtigkeit im Erleben der Frau. Erst im zweiten Schritt, mit mehr Abstand, mehr innerer Ruhe, können wir gemeinsam gucken, was das Gesagte bedeutet und was daraus womöglich folgt.“

Wenn sich beispielsweise eine verängstigte und verunsicherte werdende Mutter an sie wendet, bespricht Borgert-Nicks mit ihr, wie das Geburtshelfer-Team auf eventuelle Herausforderungen im Kreißsaal reagieren soll. Oder sie leitet Mütter, die keine Verbindung zu ihrem Kind aufnehmen können, über körperorientierte Methoden an, sich selbst und damit ihr Kind wieder zu spüren. Mit Müttern, die eine traumatische Erstgeburt erlebt haben und sich vor der Geburt des zweiten Kindes fürchten, bespricht sie den durchlittenen Geburtsverlauf. „Danach gucken wir, wie die Frau sich damit fühlt. Ob sie sich stark genug fühlt, bei der zweiten Geburt neu zu starten. Die planen wir dann zusammen. Oder sie sagt: Ich packe das nicht, ich wünsche mir einen Kaiserschnitt. Dann passiert das.“

Hilfe kann für Sie wichtig sein, wenn Sie...

...bereits einmal eine schwierige Geburt erlebt haben und sich vor der kommenden fürchten. Bei der Geburtenplanung arbeiten ich mit Ihnen gemeinsam die Schwierigkeiten der vorangegangenen Geburt auf, betrachten mögliche Verläufe und treffe mit dem Geburtshelferteam verbindliche Absprachen für eventuelle Herausforderungen.

...bereits lange vor der Geburt stationär von uns medizinisch betreut werden müssen.

...während der Geburt körperliche oder seelische Gewalt durch das Geburtshelferteam erlebt haben, unabhängig davon, ob diese mit Absicht, aus medizinisch notwendigen Gründen oder unwissentlich ausgeübt wurde.

...die Geburt für Sie körperlich und psychisch so anstrengend verlief, dass Sie diese Erfahrung nicht allein verarbeiten können.

Auch geburtsbegleitende Menschen können traumatisiert werden

Partner und Partnerinnen, die ihre Frauen bei einer schweren Geburt begleiten, können ähnliche Gefühle der Entmachtung erleben. Und ebenso wie die Frau können und wollen sie nicht fliehen. Hilflos müssen sie mit ansehen, wie Mutter oder Kind in Gefahr sind und reagieren häufig aus einem archaischen Reflex heraus: Sie wollen ihre Familie schützen! Umso schwieriger ist es für sie, Verantwortung abzugeben, bei einem Notkaiserschnitt zur Seite zu treten oder in einem anderen Raum warten zu müssen. „Ich bin oft beeindruckt, wie vielen Partnern und Partnerinnen das dennoch gelingt“, sagt Borgert-Nicks. „Aber es kommt auch zu Gefühlsdurchbrüchen! Die muss dann das Team auffangen: Wenn irgend möglich, bleibt eine von uns mit der Begleitperson in Kontakt, informiert sie zeitnah über jedes Geschehen und bindet sie in die Versorgung des Neugeborenen mit ein.“ Auch zu den Gesprächen nach der Geburt sind Partner oder Partnerin herzlich eingeladen.

Bild: Mutter mit Neugeborenem

© iStock/1084242842

Ganz wichtig aber: Nicht jede schwere Geburt und schon gar nicht jede Angst wirken sich traumatisierend aus. Im Gegenteil: Ängste gehören zum Geburtsprozess dazu, fokussieren die werdende Mutter auf die Arbeit, die vor ihr liegt. Für viele Frauen ist die erste Wehentätigkeit angstbesetzt. Sie signalisiert: Jetzt musst du da durch! Dieses erste Gefühl des Ausgeliefertseins aber verschiebt sich während der Geburt; „Da ist die Frau dann in diesem Prozess.“ Auch die zunehmenden Schmerzen wird sie so ertragen können: indem sich ihr Organismus darauf einstellt und sie mit ihnen in die Geburt hineinwächst. Eine Arbeit, so Irmtraut Borgert-Nicks, die vom gesamten Team mitgetragen wird: den Ärztinnen und Ärzten, den Hebammen im Kreißsaal und den Kollegen und Kolleginnen auf den anderen Stationen.

Selbstvertrauen und Zuversicht sind die besten Geburtshelfer. Diese Gefühle aber kann man sich nicht verordnen. Deshalb haben in der Beratung alle Sorgen, Zweifel, Ängste Raum: „Die werden in ihrer Existenz anerkannt und wertgeschätzt“, so Traumaberaterin Borgert-Nicks. Ängste, die benannt werden, verlieren ihre Macht. Man kann sie angucken, mit ihnen sprechen und sie aus dem eigenen Leben entlassen. Ein Prozess, den Irmtraut Borgert-Nicks Schritt für Schritt begleitet, „so lange, wie es eben braucht.“

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