Stresstherapie - Endlich Ruhe!

Stresstherapie bei Burnout-Gefahr

Endlich Ruhe!

Bild: Entspannte Frau

Dauerhafter Stress kann auf lange Sicht gesundheitsschädigend werden. Vor dem Kontrollverlust therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, zahlt sich aus. Ein Einblick in die stationäre Stresstherapie.

Handeln für die Selbstfürsorge

Achtsamkeit ist das Zauberwort. Zugegeben: Der Begriff wurde in letzter Zeit ein wenig strapaziert. Alle reden davon, wenige wissen, wie es geht. In den beiden Tageskliniken für Stressmedizin an den Standorten Asklepios Klinik Harburg und Asklepios Klinik St. Georg wird sie gelebt. „Achtsamkeit ist das das Herz unserer Behandlung“, sagt deren Leiterin Nicole Plinz. Hier finden jeweils bis zu zwanzig Patientinnen und Patienten acht Wochen intensive Hilfe.

Acht Wochen? „Stimmt!“ Nicole Plinz lächelt. „Das klingt lang! Es ist aber die Zeit, die Körper, Seele, Geist benötigen, um eine neue Haltung zu verinnerlichen.“ Zeit, um Ruhe zu finden, in der Klinik anzukommen, sich einzulassen auf Menschen, Methoden, neue Möglichkeiten. „Achtsam sein bedeutet, Belastungen bewusst zu erleben“, erläutert Nicole Plinz. „Ich löse mich aus der Situation, betrachte sie von außen und erkenne dadurch Freiheiten, mit denen ich meine Wirklichkeit aktiv beeinflussen kann.“ Nichts sei schlimmer als das Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust. Achtsamkeit hilft, innezuhalten, sich zu fokussieren und wählen zu können.

Bild: Gruppentherapie

© iStock/1338836734

Wie man das lernt? „Indem man versteht, warum man krank geworden ist und übt, mit den Ursachen und Symptomen anders umzugehen“, so Nicole Plinz. „In unseren Kliniken arbeiten wir in je zwei geschlossenen Klein-Gruppen aus maximal zehn Patientinnen und Patienten, die über den gesamten Therapiezeitraum zusammenbleiben.“ Niemand komme hinzu, niemand gehe weg. „Dadurch ist eine kontinuierliche, vertrauensvolle Arbeit möglich.“ Auch die Zusammensetzung tut den Gruppenmitgliedern gut. „Wir behandeln von der Bankdirektorin bis zum Gleisarbeiter Menschen unterschiedlichster Milieus in einer Gruppe“, ergänzt Chefarzt PD Dr. Daniel Schöttle. „Andere Lebenswirklichkeiten kennen lernen zu dürfen ist für viele Menschen eine bereichernde Erfahrung. Unsere Gruppen sind ein Spiegel unserer Gesellschaft: Diese Vielfalt nutzen wir für unsere Arbeit. Eine Studie der Universität Witten-Herdecke hat unsere Behandlung begleitet. Sie zeigt, dass das Erleben der Verbindung von Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten ein sehr heilsamer Faktor ist."

Das tagsüber Gelernte kann am Abend und am Wochenende im eigenen Alltag erprobt werden. „Deshalb sind wir eine Tagesklinik“, erklärt Nicole Plinz. „Wir wollen niemanden am Ende der Therapie mit einem großen Rucksack voller guter Vorsätze nach Hause schicken – um dort für sich allein zu scheitern.“

Der Stress von heute ist anders als der von damals

Bild: Gestresste Frau am Schreibtisch

© iStock/1330230043

In unserer Leistungsgesellschaft gehört es fast schon zum guten Ton, unter Strom zu stehen. Wer stresslos arbeitet, wird beneidet – aber auch belächelt. Scheint wohl ein Luschenjob zu sein! „Alle Menschen suchen Anerkennung und Wertschätzung““, erklärt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, PD Dr. Daniel Schöttle. „Wir tragen diesen unglaublichen Drang in uns, dafür das Beste zu geben.“ Die ungeheure Arbeitsverdichtung und gesellschaftliche Vereinzelung verschärfen den Druck. „In manchen Arbeitsbereichen sind wichtige Schutzfaktoren wie das Verbot der Sonntagsarbeit, das Einhalten von Mittagspausen oder geregelter Arbeitszeiten weggebrochen. Homeoffice und gleichzeitige Kinderbetreuung können zu pausenloser Anstrengung führen. Häufig ist der Schutz durch familiäre Netzwerke, vor allem in Großstädten, nur unzureichend vorhanden, so dass wichtige Ressourcen nur eingeschränkt zur Verfügung stehen“.

Die Freiheit, alles werden zu können, alles machen zu können, dazu die tägliche Qual der Wahl zwischen allem und jedem seien für viele Menschen purer Stress: Korn- oder Mohnbrötchen? Stadtteilschule oder Gymnasium? Dieser Partner oder diese Partnerin oder gibt es da nicht noch was Passenderes? Ständig kann man falsche Entscheidungen treffen!

Hinzu kommen überhöhte Rollenerwartungen: Alles muss toll sein. Tolle Eltern, tolles Liebespaar, toller Lebensstandard. Die Sozialen Medien tun ihr Übriges. „Ich kann mich ständig und überall mit anderen vergleichen und werde mit anderen verglichen“, sagt Nicole Plinz. „Da gibt es dann immer irgendwen, der mit ähnlichen Voraussetzungen mehr erreicht hat als ich. Viele Menschen empfinden ihr eigenes Leben dadurch als permanentes Scheitern – und strengen sich noch mehr an.“

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© Asklepios Kliniken

Dabei ist Stress was Gutes!

Bild: Gestresste junge Frau

© iStock/1033774292

Alarm! Und der Körper bietet auf, was er kann, um die Gefahr zu bewältigen: Adrenalin wird ausgeschüttet, die Pulsfrequenz steigt, Schweiß kühlt den erhitzten Körper. Chefarzt PD Dr. Daniel Schöttle: „Stress ist evolutionär eine der ältesten Reaktionen des Menschen. Er hat maßgeblich zur Entwicklung unseres Gehirns beigetragen und tut es weiterhin. Ohne Stress kein Lernen.“ Ein Grund, warum manche Menschen unter Stress viel besser funktionieren: Er sorgt für Lebendigkeit mit anschließender Zufriedenheit, wenn die Situation erfolgreich gemeistert wurde.

„Erst, wenn der Stress die eigenen Kräfte dauerhaft überschreitet, wird er zum Problem.“ Hinzu komme, so PD Dr. Daniel Schöttle, „dass Menschen, die ungünstige Entwicklungsbedingungen oder frühe Traumatisierungen in ihrer Kindheit erlebt haben, auf spätere Stresssituationen empfindsamer reagieren als diejenigen, die Wertschätzung und sichere Bindungen erfahren haben. Letztere sind meist robuster, resilienter.“

Für beide aber gilt: Was zu viel ist, ist zu viel. Die seelischen und somatischen Folgeerkrankungen sind gleich: Erschöpfung, Depression, Schwindel, Bluthochdruck, Herz-Kreislaufstörungen. „Viele unserer Patientinnen und Patienten finden erst über den Umweg ihrer körperlichen Beschwerden zu uns“, erklärt PD Dr. Daniel Schöttle. „Sie leiden beispielsweise unter Herzrasen und werden in der Kardiologie vorstellig. Da stellt sich dann heraus, dass die Ursache der Herz-Rhythmus-Störung kein Herzleiden ist, sondern eine Folge von Stress. Umgekehrt leiden Menschen mit kardialen Problemen häufig unter psychischen Erkrankungen wie depressiven Störungen oder Angsterkrankungen und reagieren sehr empfindlich auf Stressoren.“ Oft wird die Not zu Hause zu groß und die Angehörigen sind die treibenden Kräfte. „Da drängt dann die Partnerin oder Partner: ‚So geht das nicht mehr weiter!‘“, so der 45-Jährige. „Wenn die Patientinnen und Patienten dann einmal bei uns sind, setzt meist rasch eine große Erleichterung ein. Sie merken erst dann, wie groß ihre Erschöpfung ist.“

Erst, wenn der Stress die eigenen Kräfte dauerhaft überschreitet, wird er zum Problem.

PD Dr. Daniel SchöttleChefarzt des Zentrums für Seelische Gesundheit, Asklepios Klinikum Harburg

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© Asklepios Kliniken
Bild: Frau macht Tai Chi im Wald

© iStock/1200062761

Neue Verhaltensweisen lernen …

Und dann? „Wir arbeiten, neben unserer Verankerung in der Achtsamkeit, mit einem psychodynamischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansatz“, erklärt Nicole Plinz. „Das heißt: Die Patientinnen und Patienten reflektieren ihre Situation, gelangen darüber zu neuen Einsichten, die sie mit anderen Verhaltensweisen als den bislang erprobten ausdrücken.“ Die steuert zunächst der Kopf, durch permanentes Üben werden sie Teil von einem selbst. Das neue Verhalten automatisiert sich, vergleichbar mit Zähneputzen. Oder Anschnallen im Auto. Man macht es einfach und denkt nicht mehr drüber nach. Wenn man es allerdings unterlässt, tut es ein bisschen weh: Man kommt dann in Diskussion mit sich.

Zusätzlich zu der hochintensivierten psychotherapeutischen Arbeit in Einzelstunden und Klein-Gruppenarbeit finden regelmäßig psychoedukative Gruppen zu Themenbereichen wie Schlaf, Schmerz, Tinnitus, Körper und Herz, Ernährung und Kommunikation statt.

Die Werktage starten um halb neun Uhr früh mit einer Meditation und enden gegen vier Uhr nachmittags, strukturiert durch die verschiedenen therapeutischen Angebote: Vortrag, Einzel- und Gruppengespräche, Untersuchungen, Körpertherapie, Behandlung. „Ziel ist es, den Menschen das Rüstzeug an die Hand zu geben, mit dem sie in einer hochautomatisierten Stressreaktion die Autonomie über das eigene Handeln und Fühlen behalten können“, so Nicole Plinz. Auf dieses Ziel sind alle Mitarbeitenden ausgerichtet. Beide Tageskliniken arbeiten ausschließlich mit therapeutisch ausgebildetem Personal: (Fach-)Ärztinnen und Ärzte, Psychologen und Psychologinnen, Bewegungs- und Achtsamkeitstherapeutinnen und -therapeuten sowie Pflegekräfte. „Wir alle leben Achtsamkeit“, sagt Nicole Plinz. „Das macht unser Konzept so glaubwürdig und anschaulich.“ Nach der Entlassung können die Patientinnen und Patienten ambulant und online therapeutische Nachsorgeprogramme nutzen.

... und anwenden!

Und wie gehen die beiden Experten mit Stress um? Nicole Plinz lacht: „Indem ich achtsam bin! Stress gehört zum Leben, Achtsamkeit hilft mir zu erkennen, wo meine Freiheiten im Umgang mit der Belastung liegen.“ PD Dr. Daniel Schöttle sucht das Gespräch: „Wenn ich mich gestresst fühle oder emotional feststecke, hole ich mir manchmal von meiner Familie und meinen Freunden den Blick von außen. In einigen Situationen sieht man häufig den Wald vor lauter Bäumen nicht. Andere Menschen haben dann die nötige Distanz, die Wahlmöglichkeiten zu erkennen, die ich noch habe.“ Auch Bewegung in der Natur kann den Kopf freipusten und der Seele Luft verschaffen, neue Wege zu sehen. Ein Bild, das Nicole Plinz dankbar aufgreift: „Ich sehe mich mehr als Gärtnerin, denn als meines Glückes Schmied“, sagt die 57-Jährige. „Ich kann den Boden bereiten, säen und gießen. Ob dann alles so gedeiht, wie ich will, steht außerhalb meiner Macht. Das entscheidet das Leben.“

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