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Botox. Depression. Neuer Therapieansatz.
Botox ist vielen ein Begriff aus der ästhetischen Medizin. Doch auch im Bereich der Depressionstherapie könnte es in Zukunft von großem Wert sein.
Zugegeben, es klingt zunächst ein wenig spooky: Das Nervengift Botulinumtoxin soll Menschen mit schweren seelischen Erkrankungen helfen? „Ja, das ist möglich!“ sagt Dr. Marc Axel Wollmer, Dozent am Asklepios Campus Hamburg. „Vielen Menschen geht es nach der Behandlung entscheidend besser.“
Wir alle kennen Botox meist nur vom Hörensagen. Aus bunten Blättern etwa, die in der Arztpraxis ausliegen und über die Schönheits-OPs von Promis berichten: Botox glättet Falten. So unser Kenntnisstand.
Dass der Wirkstoff auch zur Behandlung neurologischer Erkrankungen eingesetzt wird, bei Krämpfen, Migräne oder Tremor, ist weniger bekannt. Dass er sogar vor psychischen Erkrankungen schützen und deren Auswirkungen lindern kann, das haben Privatdozent Dr. Marc Axel Wollmer, Chefarzt für Gerontopsychiatrie an der Hamburger Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll und Professor Dr. Tillmann Krüger, Leiter der Klinischen Psychologie und Sexualmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover in mehreren wissenschaftlichen Studien gezeigt.
„Über unser Gesicht drücken wir unsere Gefühle aus: Mit unserer Mimik kommunizieren wir sie nach außen, erzählen anderen Menschen, wie es uns geht“, erklärt Dr. Marc Axel Wollmer. „Zugleich wirkt unsere Mimik nach innen. Indem wir die Gesichtsmuskeln anspannen, lösen wir im Gehirn ein Selbstwahrnehmungssignal aus, das die entsprechende Emotion – Ärger, Angst, Freude – erst abrundet und vervollständigt.“
Dieses Phänomen nennt man Embodiment: eine verkörperte Emotion. Je stärker die Muskelanspannung im Gesicht, desto stärker der Ausdruck nach außen und die Emotion im Inneren. „Gefühle müssen sich im Außen zeigen, um sich im Inneren zu entfalten“, so Dr. Wollmer. „Im Umkehrschluss bedeutet das: Ohne die Verkörperung im Außen und die Rückkopplung nach Innen erleben Menschen nur ein unvollständiges Gefühl.
Botulinumtoxin (BTX), umgangssprachlich Botox, ist ein starkes Nervengift: Es lähmt Muskeln. Diese Fähigkeit macht sich die ästhetische Medizin zunutze: Um Stirn- und Zornesfalten zu glätten, wird der Wirkstoff in die darunter liegende, mimische Muskulatur gespritzt. Die kann daraufhin keinen Zug mehr auf die Haut ausüben: Die Stirn zieht sich nicht mehr zusammen, die Falten scheinen geglättet.
Diese Fähigkeit haben sich auch Privatdozent Dr. Marc Axel Wollmer und Professor Dr. Tillmann Krüger zunutze gemacht für ihre weltweit ersten, kontrollierten klinischen Studien zum Einsatz von Botox zur Behandlung psychisch erkrankter Menschen. Dr. Marc Axel Wollmer: „Wir stellten die Hypothese auf, dass die Entspannung der Stirnmuskeln mit BTX-Injektionen die Rückkopplungsschleife zwischen dem Gesicht und dem Gehirn unterbrechen und damit negative Emotionen reduzieren würde. Einfacher gesagt: Wir nahmen an, dass Gefühle wie Ärger, Angst oder Traurigkeit, die das Gesicht nicht mehr ausdrückt, auch weniger intensiv erlebt werden und sich die Symptome etwa einer Depression dadurch zurückbilden.“
An der ersten Studie nahmen Menschen mit Depression teil, später folgten Patientinnen mit einer Borderline-Störung. Ihnen wurden einmalig an insgesamt fünf Stellen über der Nasenwurzel und über den Augenbrauen Botox-Injektionen verabreicht. „Damit schalteten wir gezielt jene Muskelpartie aus, über die negative Emotionen ausgedrückt werden“, erklärt Dr. Marc Axel Wollmer. „Sie werden auch als Trauermuskeln bezeichnet. Alle anderen, für unsere Mimik notwendigen Muskeln, blieben von der Behandlung unberührt.“
Die Ergebnisse waren frappierend. Es zeigte sich, dass BTX-Injektionen
Noch ist die Therapie mit BTX nicht zugelassen, PD Dr. Marc Axel Wollmer ist aber zuversichtlich, dass sie sich durchsetzen kann: „Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation leiden weltweit rund 280 Millionen Menschen an Depressionen. Einem Drittel der behandelten Patientinnen und Patienten können wir mit unseren klassischen Behandlungsmethoden wie Psychotherapie oder der Gabe von Antidepressiva nur eingeschränkt helfen – wir brauchen daher neue Therapieansätze.“ Die Botulinumtoxin-Behandlung könnte so ein neuer Ansatz sein. Dr. Marc Axel Wollmer: „Gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen in den USA treiben wir die klinische Entwicklung weiter voran. Eine Zulassungsstudie kann aber letztlich nur mit Hilfe eines Unternehmens der pharmazeutischen Industrie durchgeführt werden.“
Einem Drittel der behandelten Patientinnen und Patienten können wir mit unseren klassischen Behandlungsmethoden wie Psychotherapie oder der Gabe von Antidepressiva nur eingeschränkt helfen – wir brauchen daher neue Therapieansätze.
Dr. Marc Axel Wollmer hat die Behandlung vor Jahren auch an sich selbst erprobt. Er lacht: „Nach einem Workshop hatten wir noch ein wenig Wirkstoff übrig“, erzählt der vierfache Vater. „Da dachte ich: Probiere ich das doch selbst mal aus!“ Die Wirkung hat ihn selbst überrascht. „Ich war erstaunt, wie stark die negativen Gefühle abnahmen; vor allem der Ärger!“ Etwa, wenn die Kinder zu Hause nicht taten, wie sie sollten. „Was mich sonst zur Weißglut gebracht hätte, ist plötzlich an mir abgeperlt wie an einer Teflonpfanne!“
Die Versuchung war groß, dass er sich zunächst dachte: „Das könnte doch immer so sein!“ Als Psychiater aber rät Dr. Marc Axel Wollmer gesunden Menschen zur Vorsicht: „Sie schränken damit das Spektrum ihrer emotionalen Ausdrucks- und Erlebnisfähigkeit ein“, so der Chefarzt. „Das kann die Fähigkeit, sich in den Gemütszustand anderer einzufühlen subtil beeinträchtigen und so auch zu zwischenmenschlichen Schwierigkeiten führen. Schließlich gehören negative Emotionen zum Leben genauso dazu wie positive.“
Dr. Wollmer vermutet allerdings, dass auch seelisch gesunde Menschen den Botulinumtoxin-Nebeneffekt zu schätzen wissen: „Leute, die sich immer wieder botoxen lassen, tun das sicherlich nicht nur wegen einer glatteren Stirn“, mutmaßt er. „Sie tun es wahrscheinlich auch, weil sie sich danach entspannter und irgendwie besser fühlen!“
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