Krebsforschung aus dem Meer

Forschung. Krebsmedizin. Fische.

Hoffnung aus dem Meer

Bild: Forscherin mit Pipette

Was wir von Haien, Algen, Quallen und der Seegurke lernen können

Mit der Seegurke gegen den Krebs

„Was verletzliche Tiere schützt, schützt auch den verletzlichen Menschen“, erklärt Professor Dirk Arnold, Chefarzt an der Asklepios Klinik Altona und Leiter des größten fachübergreifenden Tumorzentrums Norddeutschlands. „Viele scheinbar wehrlose Pflanzen und Tiere – Schwämme, Quallen, Algen – kompensieren ihre Schutzlosigkeit mit Gift: Das setzen sie ein, um sich ihre Widersacher vom Leibe halten.“ Der Sprung zum ärgsten Feind des Menschen, dem Krebs, sei da nicht mehr weit. „Diese natürlichen biologischen Waffen können auch dem Menschen helfen“, so der renommierte Onkologe. „Ihre Tumorzellen zerstörenden Eigenschaften schlagen den Krebs in die Flucht.“

Bild: Seegurke

© iStock

Von jeher hat der Mensch die Natur als Apotheke genutzt: Das älteste Zeugnis über die Verwendung von Kräutern zur Wundbehandlung reicht bis in das alte Ägypten im Jahr 4.000 v. Chr. zurück. Statt Ginseng und Baldrian nun also Seetang und Seegurke? Tatsächlich: „Die Wirkstoffe vieler neu entwickelter, krebshemmender Medikamente sind durch die Meeresforschung entdeckt worden“, erklärt Professor Arnold. Ihr Studienobjekt sind Schwämme, Algen, Seescheiden und Schnecken. Quallen nicht zu vergessen! Ebenfalls schön giftig, daher nützlich. Und das alles ohne Raubbau an der Natur: Mussten für die Entwicklung der Wirkstoffe vor nicht allzu geraumer Zeit noch abertausende Pflanzen und Tiere ihr Leben lassen, um in langen Versuchsreihen auf ihre therapeutische Wirksamkeit getestet zu werden, so muss heute kein Meeres-Lebewesen mehr sterben. Professor Dirk Arnold. „Wir entschlüsseln die in ihnen enthaltenen Informationen, bauen sie biotechnologisch nach und erproben sie für unsere Zwecke. Das ist nicht nur ethisch sinnvoll, sondern auch effizienter.“

Bild: Hai

© iStock

Und dann gibt es da noch den Weißen Hai

Haie haben keinen Krebs. Mit dieser Beobachtung startete eine der erfolgversprechendsten Forschungen der letzten Zeit. Darüber hinaus heilen seine Wunden außergewöhnlich rasch: Sie schließen sich innerhalb weniger Stunden, schneller, als bei jedem anderen Säugetier. Natürlich fragte man sich: Wieso? Was ist da mit dem Immunsystem los? Und stellte fest: Der Hai verfügt über Gene, die den programmierten Zelltod, die so genannte Apoptose, aktiv steuern können. Diese Gene verhindern oder befördern den zellularen Suizid: Entweder schicken sie beschädigte Zellen bestimmungsgemäß in den Tod und verhindern dadurch, dass sie sich zu Krebszellen entwickeln. Oder sie schützen Zellen vor der Selbstvernichtung, sodass gesundes Gewebe erhalten bleibt oder schneller regeneriert. „Der Hai ist ein Lebewesen, das diese Form der Selbstheilung und des Selbstschutzes besonders gut beherrscht“, sagt Professor Dirk Arnold. „Das wollen wir für die Behandlung von krebskranken Menschen nutzen.“ Was der Hai außerdem noch kann: das Wachstum von Blutgefäßen unterdrücken. Ohne Blutgefäße können Tumore nicht wachsen. Der Krebs kommt zum Stillstand.

Bild: Haie

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In wenigen Jahren ist es soweit

Aktuell handelt es sich bei diesen Erkenntnissen um ein rein theoretisches Wissen. Therapeutisch ist es noch nicht einsetzbar. Professor Arnold rechnet allerdings damit, dass in wenigen Jahren eine entsprechende Gentherapie zur Verfügung stehen wird. Ziel muss sein, dass sie die Gene, die im Hai die Selbstzerstörung beschädigter Zellen und den Erhalt gesunder Zellen steuern sowie das Wachstum von Tumorgewebe unterdrücken in die Krebszellen eines erkrankten Menschen einpflegt. Und zwar nur in die erkrankten Zellen, nicht etwa in das menschliche Erbgut schlechthin. „Bei diesen gentherapeutischen Verfahren geht es heute immer noch darum, kranken Menschen zu helfen – und nicht gesunden, etwa, um sie präventiv vor möglichen Krebserkrankungen zu schützen“, erklärt Professor Arnold. „So wünschenswert das vielleicht klingt: Dazu müsste das menschliche Erbgut in seiner Gesamtheit verändert werden. Medizinisch und ethisch ist das nicht zu verantworten.“

Dieser Anspruch ist allerdings auch eine der größten Herausforderungen: Wie kommt eine Therapie, die in biologischen Tumor-Modellen wirksam ist, zum Tumor im Menschen? Unter Laborbedingungen funktioniert das alles schon: Bösartiges Gewebe wird kleiner oder verschwindet ganz. Serienreif ist es aber nicht. „Noch steht die Forschung vor vielen ungelösten Problemen“, so Professor Arnold. Und nennt die dringendsten: „Wie stellen wir sicher, dass vor allem kranke und nicht gesunde Zellen gentechnisch verändert werden? Was machen wir mit all den Tumoren, die dem Immunsystem dennoch entkommen? Wie garantieren wir die Sicherheit der Behandlung? Und wie wirkt sich die Therapie auf den Gesamtorganismus aus?“ Auch warnt er vor zu großen Erwartungen: „Sie kann nur ein wichtiger Baustein sein. Zur Bekämpfung von Krebserkrankungen allein reicht sie nicht aus. Dazu ist Krebs eine zu komplexe, auch zu intelligente und sich schnell und flexibel anpassende Erkrankung.“

Vier Mythen über den Krebs

Bild: Pipette

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Trotzdem! Die Hoffnung ist groß

Je früher eine Krebserkrankung diagnostiziert und mit der bestmöglichen Therapie behandelt wird, desto höher sind die Erfolgschancen. „Wir können in vielen Situationen Krebserkrankungen heilen“, verspricht Professor Arnold. „Als größtes fachübergreifendes Tumorzentrum Norddeutschlands haben wir Zugang zu allen Disziplinen, Spezialisten, den neuesten Behandlungsmethoden, beteiligen uns in vielen innovativen klinischen Studien an der klinischen Erprobung der Wirkstoffe an unseren Patienten und Patientinnen.“ Krebsmedizin sei immer Forschungs- und vor allem Präzisionsmedizin: Sie ist so individuell wie der erkrankte Mensch. Im Tumorzentrum verfolgen die Ärztinnen und Ärzte zwar standardisierte Verfahren, aber stellen die Behandlung dabei ganz auf die erkrankte Person ab. „Dazu gehört selbstverständlich auch das Erproben neuer Therapieansätze“, sagt Professor Arnold. Und fügt warmherzig und mit Hochachtung hinzu: „Fast alle unserer Patientinnen und Patienten sind bereit, neue Wege zu beschreiten. Krebs ist eine so existenziell bedrohliche Diagnose, die Therapien nach wie vor oft unbefriedigend und die Aussichten häufig fragil – da müssen wir gemeinsam etwas wagen.“

Was also lernt der Mensch vom Meer?

„Von den Haien die Genetik, von den Schwämmen, Schnecken und Algen die Grundlagen der Substanzen“, so Professor Arnold. „Die einen liefern faszinierende Baupläne, an denen wir das Immunsystem studieren; die anderen faszinierende Giftstoffe, die die Tumoren zerstören.“ Und der Weltfischbrötchentag? Was hat der mit unserem Thema zu tun? Professor Arnold lacht. „Da habe ich einen dringenden Wunsch“, sagt er: „Bitte essen Sie unser Forschungsobjekt nicht auf!“ Vom Hai könne der Mensch nur lernen. „Haifischbrötchen schützen definitiv nicht vor Krebs! Die heilenden Gene kann man nicht verzehren, weder als Fleisch noch als Kapsel oder Knorpelextrakt.“ Aber man könne Haie studieren – und schützen. „Damit er uns – wie alle anderen Lebewesen – auch künftig als Vorbild im Kampf gegen den Krebs helfen kann.“

Unser Experte

Kompetenz im Bereich der Hämatologie und internistische Onkologie

Bild: Dr. Arnold

© Asklepios Kliniken

Prof. Dr. Med. Dirk Arnold
Medizinischer Vorstand Asklepios Tumorzentrum Hamburg
Chefarzt der Onkologie, Hämatologie, Palliativmedizin und Rheumatologie, Asklepios Klinik Altona

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