S.A.V.E. Geburtshilfe - Stresstest im Kreißsaal
Geburtshilfe. Patientensicherheit.
S.A.V.E. - Stresstest im Kreißsaal
„Sicher arbeiten – Vertrauen erhalten“: So heißt ein einzigartiges Trainingsprogramm der Asklepios Kliniken für Hebammen, Ärztinnen und Ärzte.
Größtmögliche Sicherheit für Mutter und Kind
Im Kreißsaal üben sie den Ernstfall unter realistischen Bedingungen: das Baby dreht sich nicht, steckt fest, atmet nicht mehr. Das gemeinsame Ziel: größtmögliche Sicherheit für Mutter und Kind, größtmögliche Sicherheit für das Team.
Wir haben uns mit Nicola Scharf, Fachanwältin für Medizinrecht und Leitung S.A.V.E. und Dr. Cornelia Süfke, Leitung des Konzernbereichs Medizinrecht, Versicherungen und Compliance über die Zielsetzung des S.A.V.E.-Programmssowie seine Entstehung unterhalten. Antje Düvel, Hebamme an der Asklepios Klinik Altona und Dr. Jochen Thiele, ärztlicher Leiter des Asklepios Instituts für Notfallmedizin, erläutern das Trainingskonzept und dessen praktische Umsetzung.
Wenn der Ernstfall eintritt
Es passiert selten, aber es passiert: Da streckt das Baby zwar sein Köpfchen nach draußen, kommt aber mit der Schulter nicht hinterher. Die klemmt im Geburtskanal fest, dreht sich nicht. Oder es muss ein Not-Kaiserschnittvorgenommen werden, weil sich die Nabelschnur um den Hals des Ungeborenen geschlungen hat. Was ist zu tun, wenn die Mutter krampft oder zu viel Blut verliert? „Es sind Situationen, die sich nicht nur für die werdende Mutter bedrohlich anfühlen“, sagt Antje Düvel, langjährig erfahrene Hebamme an der Asklepios Klinik Altona. „Auch das Team steht unter Strom. Gerade jetzt aber muss es schnell, ruhig und professionell handeln.“
Das Herausfordernde daran: „Das geburtshilfliche Team aus Hebammen, Frauenärztinnen und -ärzten kennt sich natürlich. Das Zusammenspiel ist erprobt, sie vertrauen einander.“ In Notsituationen aber kommen Kolleginnen und Kollegen anderer Fachbereiche zur Hilfe, beispielsweise aus der Anästhesie oder Neonatologie. „Man hat sich vielleicht schon einmal gesehen, ein paar Worte gewechselt, aber noch nie gemeinsam eine Patientin behandelt“, so Antje Düvel. „Dennoch muss von jetzt auf gleich jeder Handgriff, jedes Kommando sitzen.“ In einer für alle Beteiligten geistig, körperlich und emotional hoch angespannten Situation.
Nur 1% der Geburten unter erschwerten Bedingungen
Jeder kann ermessen, was ein Notfall im Kreißsaal bedeutet: die Panik der Mutter, der Stress für das Ungeborene, die eventuell lebensbedrohliche Lage für beide. Die aufgeheizte Atmosphäre aus Angst, Adrenalin, Schweiß und Schmerzen. Was jetzt nicht passieren darf: dass das Team von der Anspannungüberwältigt wird, in Hektik oder gar Hysterie verfällt. Im Gegenteil: Je zeitkritischer die Situation, desto ruhiger muss das Team handeln, die richtigen Diagnosen stellen, die richtigen Maßnahmen ergreifen. Jeder und jede muss jederzeit wissen, was zu tun ist und es tun. Das aber wird viel zu wenig trainiert. „Deshalb gibt es S.A.V.E.: Sicher arbeiten – Vertrauen erhalten“, erklärt Nicola Scharf, Fachanwältin für Medizinrecht und Leitung S.A.V.E., die gemeinsam mit Dr. Cornelia Süfke, Leitung des Konzernbereichs Medizinrecht, Versicherungen und Compliance, das Programm maßgeblich auf den Weg gebracht hat.
„Das Trainingsprogramm bereitet alle im Kreißsaal tätigen Ärztinnen, Ärzte und Hebammen auf die unterschiedlichen Notfallsituationen vor. Alle sollen zu jeder Zeit in der Lage sein, eine Gefährdung von Mutter oder Kind zu erkennen und kritische Situationen qualifiziert und professionell zu lösen.“ Dr. Cornelia Süfke ergänzt: „Wir haben uns viele Gedanken über den Namen des Programms gemacht“, erinnert sie sich. „Mit unserem Titel ‚Sicher arbeiten – Vertrauen erhalten‘ wollen wir verdeutlichen, dass wir beide Seiten im Blick haben: S.A.V.E ertüchtigt unsere Geburtshilfeteams und stärkt das Vertrauen unserer Patientinnen.“ S.A.V.E. bedeute, auf jede erdenkliche Komplikation vorbereitet zu sein. „Unsere Teams wissen, was zu tun ist – und durch das permanente Training wissen sie auch wie.“
Eine Puppe, die atmet, spricht und ein Kind zur Welt bringt
Wie das gelingt? Mit Video-Aufnahmen, Vorträgen, Übungen am Modell. Vor allem aber mit lebensgroßen Simulationspuppen: einer schwangeren Frau und ihrem ungeborenen Kind. Die kommen beim Teamtraining zum Einsatz. Täuschend echt simulieren sie jede nur erdenkliche Notsituation, wie z. B. dass das Kind in Steißlage liegt, die Geburt zum Stillstand kommt, die Mutter einen allergischen Schock erleidet. Die Puppen haben Puls und Herzschläge, sie atmen, können Beine und Arme bewegen. Kanülen können angelegt und Medikamente gegeben werden. Die Mutter kann ihr Kind auf natürliche Art oder per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Und sie kann sprechen – gesteuert durch Trainerinnen, die aus einem nicht sichtbaren Nebenraum heraus über Funkmikro der werdenden Mutter Stimme und Persönlichkeit verleihen.
Um das Ganze noch realistischer zu gestalten, kommen bei größeren Trainingsgruppen auch Schauspielerinnen als Schwangerendouble zum Einsatz. Hauptsache: So lebensnah wie möglich. Und es funktioniert. „In weniger als einer Minute bricht den Teilnehmenden der Schweiß aus“, berichtet Antje Düvel, die das Trainingskonzept gemeinsam mit dem ärztlichen Leiter des Asklepios Instituts für Notfallmedizin, Dr. Jochen Thiele mit entwickelt hat. Seit vier Jahren tourt das S.A.V.E. Team durch das Land und trainiert die Teams der Geburtshilfe. „Die Simulation ist so realistisch, dass viele tatsächlich fühlen und denken: Wir haben hier einen Notfall!“
Dabei ist es vor allem das Setting, das die Übungssituation so realistisch erscheinen lässt. Die Teamtrainings finden immer inhouse im eigenen Kreißsaal statt, mit echten Kolleginnen und Kollegen, in vertrauter Arbeitsumgebung. Alles, was passieren kann, kann simuliert und also auch geübt werden: die sichere Handhabung der Beatmungsgeräte, der Einsatz von Saugglocke und Zange, der Not-Kaiserschnitt. „Hier wird nicht nur theoretisches Wissen vermittelt, sondern praktische Fertigkeiten angewandt“, sagt Dr. Jochen Thiele. „Hier zählt, ob jemand richtig handelt, richtig kommuniziert, sich nicht aus der Ruhe bringen lässt.“ Im realitätsnahen Training werde deutlich, wo es bei jedem Einzelnen, im Team oder in den Strukturen hakt, etwa im Ablauf der Notfallketten oder der Kommunikationsabläufe. Nur eines sei im Training anders als in der Wirklichkeit. „Bei uns ist niemand wirklich in Gefahr, auch keine Puppe“, erklärt Thiele. „Es gibt immer einen Ausweg. Jede Notsituation endet mit einem Happy End.“
S.A.V.E. - Maximale Sicherheit für Mutter und Kind
„Wir trainieren Profis!“
Das duale Trainingsprogramm S.A.V.E. besteht aus Praxis und Theorie. Letztere wird zuvor in einem zweitägigen Skilltraining vermittelt, das zentral in Hamburg am Institut für Notfallmedizin stattfindet und alle auf einen gemeinsamen Stand bringen soll. Die Teilnehmenden hören Vorträge über aktuelle Entwicklungen in der Geburtshilfe, üben manuelle Fertigkeiten an Becken- und Neugeborenen-Modellen, tauschen in Rollenspielen die Perspektive. Erst wenn alle Skills sitzen, so Hebamme Antje Düvel, macht der Teamtag Sinn. „Wir trainieren Profis!“, sagt die 41-Jährige. „Das ist wie im Leistungssport: Wir haben Spitzenleute, die Spitze sind, weil sie im Training sind.“
Und die Inhalte? Die steuert unter anderem der Konzernbereich Medizinrecht bei, der alle Asklepios Kliniken juristisch betreut, darunter auch die 13 Geburtskliniken der Asklepios Gruppe. „Dabei treten immer wieder ähnliche Komplikationen auf“, erklärt Fachanwältin Nicola Scharf. Diese kritischen Behandlungsverläufe sammelt sie, anonymisiert sie und steuert sie zurück in das S.A.V.E.-Programm, in dem der Umgang mit den Herausforderungen gezielt geübt wird. Nicola Scharf: „Dieser ständige Austausch mit der Praxis führt dazu, dass unsere Trainingsinhalte hochaktuell sind und sich kontinuierlich weiterentwickeln.“ Mittlerweile haben alle Teams der dreizehn Asklepios Geburtskliniken das Training absolviert, seit 2019 wird es alle zwei Jahre aufgefrischt.
Sechsmal Krise an einem Tag
Jedes Team kann bis zu sechs unterschiedliche Krisensituationen proben. Jedes Szenario dauert in der Regel nicht länger als zehn Minuten, wird per Video aufgezeichnet und im Anschluss reflektiert: Was lief gut, was nicht so gut? Was bedeutet das für unsere Zusammenarbeit? Was wollen wir verbessern? Das Gespräch wird von allen Teilnehmenden als äußerst wertvoll wahrgenommen: Der gemeinsame Austausch hilft, das Erlebte zu verarbeiten und Defizite zu erkennen. Die Not-Sectio zu früh, zu spät indiziert? Waren die Anweisungen der Oberärztin hilfreich oder nicht eindeutig genug? Warum hat das eine Teammitglied nichts gesagt, obwohl es etwas Wichtiges beobachtet hat? Was war der Grund?
Die Erkenntnisse werden notiert, Lösungen diskutiert und je nach Komplexität der Herausforderung kurz- oder mittelfristig umgesetzt. „Es ist ein Prozess“, erklärt Fachanwältin Nicola Scharf. „Niemand kann erwarten, dass im Anschluss an ein Training alle Probleme gelöst sind. Neue Handgriffe, Absprachen, Arbeitsabläufe muss man üben!“ Deshalb, so die Anwältin, „begleiten wir die Kliniken kontinuierlich, bleiben mit ihnen am Ball, schauen, wo und wie wir sie über das Training hinaus unterstützen können.“
S.A.V.E. ist demnach weit mehr als ein punktuelles Notfallprogramm, das Menschen fit für die Krisensituation macht: Die Trainingserlebnisse stoßen Erkenntnisse an, die aus den Teams heraus zu nachhaltigen Veränderungen führen. Und: Die Interdisziplinarität des Programms macht es einzigartig: „In der Regel richten sich Fortbildungen für medizinisches Fachpersonal an homogene Berufsgruppen“, erklärt Nicola Scharf. „Wir hingegen trainieren das Team, das im Notfall Mutter oder Kind behandelt und reibungslos funktionieren muss.“
Erste interne Erhebungen nach rund 11.000 Trainingsstunden in allen geburtshilflichen Abteilungen der Asklepios Kliniken Gruppe zeigen, dass S.A.V.E. die Handlungssicherheit der Beschäftigten im Umgang mit geburtshilflichen Notfällen deutlich verbessert und die Anzahl haftungsrelevanter Komplikationen reduziert hat. Der große Erfolg und die überwältigend positive Resonanz haben dazu geführt, dass S.A.V.E. seit 2020 auch in den Zentralen Notaufnahmen der Asklepios Kliniken verpflichtend umgesetzt wird.
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