Psychiatrische Pflege: Die Profis der Alltagsbewältigung
Markus Weber, Pflegedirektor am Asklepios Fachklinikum Stadtroda, über die Sonderstellung psychiatrischer Pflege als einer im Kern sprechenden Disziplin
Stadtroda, den 01. 06. 2018. Der psychiatrischen Pflege komme innerhalb des Berufsfeldes der Gesundheits- und Krankenpflege eine Sonderstellung zu. Dieser Auffassung ist Markus Weber, Pflegedirektor am Asklepios Fachklinikum Stadtroda. Beim Stichwort Pflege denke der Laie automatisch an Bestandteile der Grundpflege, wie Waschen oder Umbetten. „Psychiatrische Pflege hingegen ist im Kern eine sprechende Disziplin“, sagt der studierte Pflegewissenschaftler.
„Die Gesprächsebene ist der Grundstock der psychiatrischen Pflege. Daneben nehmen Beziehung und Beziehungsgestaltung einen sehr großen Raum ein“, sagt Markus Weber. Seiner Auffassung nach sind gerade psychiatrisch Pflegende die Profis für die Alltagsbewältigung. „Das bedeutet, dass wir den Alltag gestalten, indem wir mithelfen und unterstützen“, erklärt er. Es gehe dabei um mehr als um die klassischen Grundbedürfnisse Körperpflege oder Ernährung. Bedeutet Alltagsbewältigung doch vor allem auch Tagesstrukturierung oder Freizeitstrukturierung.
„Psychiatrische Pflege ist ausgerichtet auf die Auswirkungen von Krankheitssymptomen oder Einschränkungen im Rahmen der Aktivitäten“, sagt der studierte Pflegewissenschaftler. „Kernaufgaben, welche sich dadurch ableiten lassen, konzentrieren sich auf einen Problemlösungs- und Beziehungsprozess, der das Ziel der Alltagsbewältigung verfolgt. Hierbei werden die Bedürfnisse und das Streben der Patientinnen und Patienten nach Wohlbefinden in den Vordergrund gestellt.“ Erreicht werde dies durch die Erhaltung, Anpassung oder Wiederherstellung physischer, psychischer und sozialer Funktionen sowie durch Hilfestellung bei existenziellen Erfahrungen.
Eine Schwierigkeit sei: Psychiatrische Pflege kommt bei psychisch kranken Menschen zur Wirkung, aber nicht alle psychisch kranken Menschen bekommen wirklich psychiatrische Pflege. Entsprechend müsse psychiatrische Pflege über den Krankenhaussektor hinausreichen und somit aufsuchend gestaltet werden. Sie sollte also direkt im häuslichen Umfeld der Patienten zur Wirkung kommen können. „Psychiatrische Pflege muss sich aus dem Krankenhaus herausentwickeln und in den ambulanten Bereich hinein“, so Markus Webers Vision.
Dass es der psychiatrischen Pflege gleich auf mehreren Ebenen schwergemacht wird, verdeutlicht Markus Weber. Zum einen erfahren psychiatrisch Pflegende, sogar von Kollegen aus anderen Disziplinen, teilweise eine ähnliche gesellschaftliche Stigmatisierung wie psychisch kranke Menschen – nach dem Duktus: „Das färbt ab.“ Unter Kollegen aus anderen Bereichen der Pflege herrsche das Vorurteil, dass jemand, der in der Psychiatrie anfängt, alles andere verlerne.
Zum anderen werde der insgesamt große Bereich der psychiatrischen Pflege während der Ausbildung äußerst stiefmütterlich behandelt. Innerhalb der dreijährigen Ausbildung sei der Praxisanteil in der Psychiatrie verschwindend gering. „Deshalb geht das Lernen in der Psychiatrie im Grunde erst im Berufsalltag los“, benennt Markus Weber das Paradoxon.
Am Asklepios Fachklinikum Stadtroda können Mitarbeitende eine spezielle Fachqualifikation für psychiatrische Pflege (AFQ) absolvieren. Sinn ist es, nach der Ausbildung berufsbegleitend vertiefende Kompetenzen zu erlangen.
Ein Anliegen Markus Webers, der einen Master-Abschluss im Fach Pflegewissenschaften hat, ist es, mehr akademisch ausgebildete Pflegekräfte in die Pflegepraxis zu integrieren. Diese könnten beispielsweise therapeutische Tätigkeiten übernehmen, etwa im Rahmen der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), die sich bei der Behandlung von Borderline-Patienten bewährt hat.
„Außerdem brauchen wir ein anderes Werteverständnis: Psychiatrische Pflege sollte insbesondere für Patienten zum Hoffnungsträger werden – im Hinblick auf Genesung, Alltagsbewältigung und soziale Teilhabe“, sagt Markus Weber. Er illustriert das am Beispiel eines an Depression Erkrankten mit langem Krankheitsverlauf, der über drei bis vier Monate nicht aus seinem Stimmungstief herauskommt. Er verharrt in seinem Zimmer; möchte sein Bett nicht verlassen.
Im Rahmen der Therapie werden durch die Pflege unterschiedliche Maßnahmen durchgeführt. Und zwar mit Erfolg. Denn der Patient unternimmt nun minimale Schritte und beginnt am Stationsalltag teilzunehmen. Unterstützt durch Mitarbeitende der Pflege, die ihn motivieren und Anreize schaffen, fasst der Patient nun auch Mut, die Station in Begleitung zu verlassen, kommt mehr und mehr in Bewegung. Auch nachts, wenn der Patient nicht einschlafen oder durchschlafen kann, sind Mitarbeitende der Pflege für ihn da, die ihm helfen, die Situation auszuhalten.
„Psychiatrische Pflege gibt den Patienten Hoffnung darauf, dass sie es schaffen können – im familiären Umfeld, bei der Vorbereitung der Wiedereingliederung in die berufliche Integration. Das ist tatsächlich ein Prozess von mehreren Monaten, in denen die Patienten immer wieder Einbrüche haben, sodass sie immer wieder neu Hoffnung und Unterstützung brauchen“, sagt Markus Weber.
Für ihn persönlich hatte es während seiner Ausbildung übrigens schnell festgestanden, dass er in der Psychiatrie arbeiten möchte. Sei diese doch „das schönste und spannendste Gebiet in der Pflege.“