20 Jahre Chefarzt in Seligenstadt: Dr. Nikos Stergiou im Interview
Seit zwei Jahrzehnten ist Dr. Nikos Stergiou Chefarzt der Inneren Medizin an der Asklepios-Klinik in Seligenstadt. Im Interview mit der Offenbach Post spricht er über die Entwicklung der Klinik und die Reformpläne von Gesundheitsminister Lauterbach
Dr. Nikos Stergiou ist seit mehr als 30 Jahren Arzt, seit 20 Jahren leitet er als Chefarzt die Abteilung für Innere Medizin an der Asklepios-Klinik in Seligenstadt. Im Interview spricht der 58-Jährige über die Veränderungen der vergangenen zwei Jahrzehnte und erklärt, wie er das Gesundheitssystem retten würde.
Sie sind seit 20 Jahren Chefarzt in Seligenstadt. Was bedeutet Ihnen das?
Ich würde sagen, dass ich heute als einer der dienstältesten Chefärzte immer noch an gleicher Stelle tätig bin, war so nicht abzusehen. Erstens, weil vor 20 Jahren noch nicht klar war, dass dieser Standort erhalten bleibt – bei allen Versprechungen, die beim Übergang aus der Kreisverantwortung in die private Trägerschaft gemacht wurden. Es war auch unklar, ob das Konzept, das ich für meinen Bereich aufbauen durfte, wirklich aufgeht. Dass das funktioniert hat, zeigt, dass es offenbar nicht so verkehrt war, was ich gemacht habe.
Was hatten Sie sich damals vorgenommen?
Da ich Seligenstadt kenne, habe ich mir überlegt: Was braucht die Bevölkerung? Welche Behandlungsschwerpunkte sind nötig? Das ist vor allem die Notfallversorgung, die aufrechterhalten werden muss. Das breite Angebot, Patienten, egal mit welchem Krankheitsbild, erstversorgen zu können, sollte ein Schwerpunkt sein. Dann haben wir als erstes einen Plan erstellt, wie wir uns über die folgenden fünf bis zehn Jahre entwickeln wollen. Ich war mir sicher, fünf Jahre würde es dauern, um Fuß zu fassen, aber zehn, um etwas zu verändern. Und das Wichtigste ist, dass ich Mitstreiter dafür gefunden habe. Denn das Team ist die Stärke, nie eine Einzelperson. So konnten wir die weiteren Schwerpunkte aufbauen: Gastroenterologie – also dass viele Menschen uns vertrauen, wenn es um Endoskopie-Eingriffe geht – die neue Intensivstation, die Altersmedizin mit der Geriatrie, das Thema Neurologie und Schlaganfallpatienten, die Kardiologie, aber auch die Palliativstation. Alles Aspekte für ein Krankenhaus, von dem du weißt, dass du hingehen kannst, weil du bestens erst- oder auch ganz behandelt wirst. Zusammen mit unserer Partnerklinik in Langen sind wir auch Lehrkrankenhaus der Uni Frankfurt. Darauf bin ich stolz.
Ich glaube, dass die nächste Arztgeneration besser werden muss als ich. Und das wird man nur, wenn man von mir alles lernt und sich dann darüber hinaus weiterbildet.
Sie sind auch Gründer der „AusbildungsAkademie“ der Inneren Medizin. Was steckt dahinter?
Die „AusbildungsAkademie“ war 2011 das erste Ausbildungskonzept bundesweit, in das man als Assistenzarzt einsteigt und genau weiß, zu welchem Zeitpunkt man zum Internisten und Gastroenterologen ausgebildet werden kann und welche Fähigkeiten dafür nötig sind. Ich habe das etabliert, weil ich glaube, dass die nächste Arztgeneration besser werden muss als ich. Und das wird man nur, wenn man von mir alles lernt und sich dann darüber hinaus weiterbildet. Und wenn wir das vermitteln wollen, geht es nur mit einem strukturierten Unterricht. Mir war wichtig, dass wir Ärzte zu Fachärzten ausbilden können und damit vielleicht das Interesse wecken, sich hier im Ostkreis niederzulassen. Wertschätzung und eine ordentliche Aus- und Weiterbildung sind für Ärzte das A und O. Und die Ärzte hier zu halten – sei es als niedergelassener Kollege oder als Krankenhausarzt – ist das Entscheidende.
Was bedeutet der Standort Seligenstadt denn für Sie?
Seligenstadt bedeutet für mich Zuhause. Und das Krankenhaus bedeutet für mich die medizinische Versorgung meines Zuhauses. Asklepios war bereit, hier zu investieren und Veränderung herbeizuführen. In den 19 Jahren zwischen meinem Praktikum und meinem ersten Tag als Chefarzt hatte sich hier quasi nichts verändert, in den vergangenen 20 Jahren wiederum hat sich diese Klinik völlig verändert. Und wir haben zum Beispiel unseren Neubau selbst finanziert, weil der Konzern den Gewinn, den wir erwirtschaftet haben, reinvestiert hat. Das ist auch eine Wertschätzung für die Mitarbeiter und unsere Patienten.
Wie haben sich die Patienten hier in Ihrer Zeit als Chefarzt verändert?
Anfangs haben wir die Altersstruktur ein bisschen reduziert. Mit der Endoskopie und der Gastroenterologie hatten auch Jüngere Interesse, behandelt zu werden. Mittlerweile geht der Altersdurchschnitt eher nach oben. Auch, weil die Babyboomer jetzt in das Alter kommen, in dem man mit Krankheiten behandelt wird. Was die internistischen und neurologischen Erkrankungen angeht, sehen wir das komplette Spektrum an Krankheitsbildern, wie wir es gelernt haben. In den vergangenen zwei Jahren haben wir ein etwas vermehrtes Aufkommen von Tumorerkrankungen in der Erstdiagnose. Das ist sicher darauf zurückzuführen, dass während der Corona-Pandemie nicht so viele Vorsorgeuntersuchungen gemacht wurden. Mehr geworden ist auch die Verantwortung, die jüngere Menschen für ältere Familienmitglieder haben. Und die auseinanderfallenden Familienstrukturen, dass wir heute weitere Entfernungen zwischen Eltern und Kindern haben, sorgen auch dafür, dass die Menschen mit den Entscheidungen für ihre Angehörigen völlig überfordert sind. Das habe ich vor 30 Jahren nicht so erlebt.
Heute werden die Menschen aber auch älter
Genau. Und man denkt natürlich – da nehme ich mich nicht aus – dass es einfach immer so weiter geht. Aber man muss wissen, was es bedeutet, als Senior bestimmte Behandlungen zu bekommen. Operationen im hohen Alter sind nicht ohne Risiko, und man kann nicht erwarten, dass der Mensch nach zwei, drei Tagen wieder der Alte ist. Darauf müssen wir uns einstellen und deshalb haben wir die Klinik auch ein wenig in Richtung Altersmedizin ausgerichtet, weil das der Bevölkerungsstruktur in der Region entspricht.
Wollen Sie sich darauf in Zukunft noch mehr fokussieren?
Ja. Wir haben oft Krankheitsbilder, die sich neurologisch und internistisch – zum Beispiel bei einem Schlaganfall – aber auch mit chirurgischen Erkrankungen überlappen. Die Zusammenarbeit dieser Bereiche stelle ich mir intensiviert vor. Und da geht es um Erkrankungen, die eher im höheren Lebensalter vorkommen. Es mag sein, dass 80 gefühlt das neue 60 ist, aber der Körper ist ab dem 70. Lebensjahr unter besonderen Gesichtspunkten zu betrachten. Ich glaube, auf diese Phase sind wir exzellent vorbereitet. Und es ist ja auch gut für einen selbst, wenn man älter wird und weiß, dass die Kollegen gut ausgebildet sind.
In der Vergangenheit haben Sie auch die ambulante Versorgung ausgebaut. Soll es da noch weitergehen?
Ja. Ich erhoffe mir, dass wir Patienten, die in die Notaufnahme kommen, so lenken können, dass sie nicht stationär aufgenommen werden müssen. Sie sollen auch mit Herz-, Magen-Darm- oder Lungenproblemen ambulant weiterbetreut werden können. Das muss sich aber auch bezahlbar gestalten. Das heißt, Klinik und niedergelassene Kollegen müssen zusammenarbeiten, aber auch akzeptieren, dass jeder ein bisschen was vom anderen übernehmen muss. Und es würde mich freuen, wenn das dann auch von den Kostenträgern vergütet wird – und nicht mit einer Pauschale, die unter der Deckungsgrenze liegt. Dann würde in der zentralen Notaufnahme eine Vorselektion stattfinden, was stationär sein muss, und was ambulant behandelt werden kann. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Patienten disziplinieren.
Viele Menschen verstehen ihren eigenen Körper nicht, wissen nicht, was sie ihm zumuten können. Wenn ich Gesundheitsminister wäre, würde ich darauf ein besonderes Augenmerk legen.
Inwiefern?
Wir müssen ihnen klarmachen, dass eben nicht alles rund um die Uhr geht. Der Patient muss informiert und frühzeitig geschult werden, das heißt, er muss durch die Kenntnis des Gesundheitswesens und seiner Struktur wissen, was er ihm zumuten kann. Wer weiß, wie eine Arztpraxis funktioniert? Wie ein Krankenhaus arbeitet? Wie sich unser System finanziert? Mein Körper: Wie funktioniert der? Viele Menschen verstehen ihren eigenen Körper nicht, wissen nicht, was sie ihm zumuten können. Wenn ich Gesundheitsminister wäre, würde ich darauf ein besonderes Augenmerk legen: ein umfassender, in die Jahrgänge eins bis neun integrierter, altersangepasster Gesundheitsunterricht in der Schule! Das ist die einzige Rettung des Gesundheitswesens. Das wäre revolutionär. Alles andere ist Flickschusterei.
Klingt, als wären Sie von der geplanten Krankenhausreform nicht überzeugt.
Es ist wichtig, dass wir als Notfallstandort mit den entsprechenden Schwerpunkten erhalten bleiben und eine gute heimatnahe medizinische Versorgung fortführen. Für besondere Krankheitsbilder gibt es dann die spezialisierten Schwerpunkthäuser und Unikliniken. Natürlich müssen auch wir entsprechende Facharztqualifikationen haben und bestimmte Strukturen aufrechterhalten. Aber ich glaube, in dem Moment, in dem ein Patient in Not gerät, muss er bestmöglich behandelt werden, und nach einem Spezialisten zu suchen, ist das Letzte, was er dann will. Deshalb bin ich nicht unbedingt konform mit dem, was diese Gesundheitsreform uns glauben macht, was sinnvoll ist. Heute einen Baum pflanzen, von dem ich weiß, dass ich in seinem Schatten niemals sitzen werde, das wäre für mich weitsichtige, gute Politik. (Das Gespräch führte Laura Oehl)