Im Notfall gut versorgt - ein Interview mit Tobias Honacker vom Asklepios Klinikum Schwalmstadt
Das Medium Fernsehen ist voller Arztsendungen. Spätestens seit den Erfolgsserien „Schwarzwaldklinik“ oder „ER- Emergency Room“ ist der Bereich Ambulanz/Notaufnahme und speziell der „Schockraum“ in das Bewusstsein einer breiten Masse gelangt. In den Serien, die täglich über die Bildschirme flimmern, werden verschiedene Bilder von Notfallszenarien bzw. Schockraum-Versorgungen gezeigt.
Herr Tobias Honacker ist Ärztlicher Leiter der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Asklepios Klinikums Schwalmstadt. Dort wurden im zurückliegenden Jahr 16.778 Patienten:innen versorgt. Herr Honacker ist Facharzt für Innere Medizin und hat sich nach der Facharzt Ausbildung am Uni Klinikum Marburg und dem Asklepios Klinikum Schwalmstadt auf den Bereich Notfallmedizin im Krankenhaus spezialisiert. Er ist seit 2019 im Besitz der Zusatzbezeichnung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“. Außerhalb des Krankenhauses ist Herr Honacker langjährig als Notarzt tätig. Außerdem wurde er durch den Landrat im Jahr 2020 in die Gruppe der Leitenden Notärzte*innen des Schwalm-Eder-Kreises berufen.
Herr Honacker, was ist Ihre Aufgabe in der Ambulanz und was bedeutet „Klinische Akut- und Notfallmedizin“?
„Der Begriff Ambulanz ist im Kontext „Schwarzwaldklinik“ sicherlich zutreffend, da die „Zentralen Notaufnahmen (ZNA)“ ursprünglich aus dem Bereich von chirurgischen Ambulanzen hervorgegangen sind. Diese waren der chirurgischen Sektion zugeordnet. Hier fand auch die Trauma-Versorgung statt. Internistische Abteilungen und andere Sektionen haben in kleineren Bereichen Patienten:innen versorgt. Akut schwer kranke Patienten:innen wurden bis vor einigen Jahren noch direkt auf die Intensivstationen gebracht und dort stabilisiert. Aktuell hat der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA beschlossen eine professionelle ZNA-Versorgung zu fördern. Daraus ist der eigenständige Bereich „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ hervorgegangen. In dieser Position (Ausbildung 2 Jahre) bin ich für alle Notfallpatienten:innen unabhängig vom Krankheitsbild zuständig. Im Prinzip ist das wie die Tätigkeit eines Allgemeinmediziners:in nur mit einer Fülle an zur Verfügung stehenden Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten. Alle Patienten:innen werden interdisziplinär, sprich durch Spezialisten aus verschiedensten Abteilungen
versorgt. Der zu Hause bewusstlose Patient mit Sturzgeschehen kann Herzrhythmusstörungen und eine Verletzung haben. Dann benötige ich nach Erstversorgung und Stabilisierung sowohl einen Kardiologen (Herzspezialist) als auch einen Traumatologen (unfallchirurgischen Spezialisten).“
Versorgen Sie alle Patienten:innen selber?
„Das ist im Jahr 2022 gar nicht mehr möglich. Zum einen kann ich in der Tiefe der einzelnen Fachdisziplinen nicht alles wissen und können und bin hier auf viele spezialisierte Kollegen*innen angewiesen. Zum anderen haben wir teilweise 20 oder mehr Patienten bei sogenannten Crowding oder Overcrowding Situationen parallel in der ZNA. Solche Situationen können nur im Team bewältigt werden. Das Team besteht aus Medizinischen Fachangestellten, Examinierten Pflegekräften inclusive Fach-Notfallpflegekräften, Ärztinnen und Ärzten sowie Stationshilfen und angestellten Rettungssanitätern:innen / Notfallsanitätern:innen. Ohne mein Team und die anderen Fachdisziplinen würde ich auf verlorenem Posten kämpfen.“
Was bedeutet Crowding/Overcrowding?
"Stellen Sie sich eine Unfallsituation auf der Landstraße vor. Sie haben fünf Verletzte Patienten*innen und zunächst drei Rettungswagen und einen Notarzt vor Ort. Die Zahl der Patienten*innen übersteigt zunächst die ersteintreffenden Kräfte. Solche Situationen gibt es bei hohem Rettungsmittel- und gleichzeitig hohem Fußgänger Patienten-Aufkommen auch in der ZNA. Zuweisungen von zehn Rettungswagen in fünf Stunden mit zusätzlichen Selbstvorstellungen sind keine Seltenheit. Dann sprechen wir von einer vollen bzw. übervollen ZNA. So befinden sich in Spitzenzeiten 30 Patienten*innen gleichzeitig in der ZNA.“
Was bedeutet das für Wartezeiten und wie stellen Sie sicher, dass schwer kranke Patienten:innen identifiziert werden?
„Wir benutzen das Manchester Triage System. Patienten*innen werden nach Symptomen und Messwerten „gesichtet“ und bekommen eine Farbe: blau, grün, gelb, orange, rot. Hiervon hängt dann die Wartezeit ab. Das System ist durch Studien validiert, sprich geprüft. Rote Patienten*innen werden in den Schockraum aufgenommen, bei orangenen ist es Einzelfallentscheidung. Dann folgt abgestuft eine längere Wartezeit. Das bedeutet unter Umständen auch, dass man als blau oder grün triagierter Patient*in in solchen Situationen mit sehr langen Wartezeiten rechnen muss. Wir versuchen hier mit Durchsagen für Verständnis zu sorgen, da im Wartebereich nicht ersichtlich ist, was „hinter den Kulissen“ los ist. Sprich wie das Rettungsdienstaufkommen ist oder ob beispielsweise eine Schockraumversorgung läuft.“
Was bedeutet „laufende Schockraum Versorgung“?
"In den Schockraum nehmen wir alle schwer kranken bzw. instabilen Patienten*innen auf. Das können zum Beispiel Herzinfarkt-Patienten:innen (nonTrauma Schockraum) oder auch Unfall-Patienten:innen (Trauma Schockraum) sein. Hier sind unter Umständen eine Beatmungstherapie, eine Herz-Lungen-Wiederbelebung oder Blutungsstillung gefragt. Das bindet viele Kräfte und bedeutet hohen Zeitaufwand. Für eine Schockraum Versorgung mit kritisch krankem Patienten-Klientel können auch mal mehr als 60 Minuten ins Land gehen. Dann muss das restliche Geschäft von mir gut organisiert sein. Ich arbeite dann nicht mehr selber direkt an Patienten*innen, sondern fungiere als „ZNA Notfall Koordinator“ und führe das multiprofessionelle Team. Hierzu erfolgt auch die Kennzeichnung mit einer Weste ähnlich wie man es von Feuerwehreinsätzen kennt. Unterstützt werde ich dabei von der jeweiligen pflegerischen Schichtleitung."
Was ist das oberste Ziel in der ZNA?
"Kritisch kranke Patienten:innen müssen spätestens zehn Minuten nach Eintreffen im Krankenhaus eine Sichtungsfarbe und damit eine Behandlungsdringlichkeit erhalten haben. Kollabierte / bewusstlose oder stark blutende Patienten:innen werden unter Umgehung der Sichtung als per se „rot“ betreut und damit sofort versorgt. Identifizierte instabile, kritisch kranke Patienten:innen müssen unverzüglich der Diagnostik und Therapie zugeführt werden! Die Organisation meinerseits muss in solchen Situationen aber immer auch darauf abzielen Patienten:innen mit nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Verletzungen zeitnah zu versorgen."
Was wünschen Sie sich für Ihre tägliche Arbeit?
"Ich wünsche mir, dass mein Team mich weiter so tatkräftig unterstützt und ich mich auf mein Team verlassen kann. Bei den Patienten:innen wünsche ich mir manchmal mehr Geduld. Jeder und jede Patient:in bedarf einer sorgfältigen Untersuchung der Diagnosestellung und einer Therapie. Um dies allen in gleicher Weise qualitativ zu ermöglichen braucht es Zeit, die natürlich für die nachfolgenden Fälle in Wartezeit resultiert. Um die Wartezeit und das aktuelle Aufkommen transparenter zu machen, arbeiten wir an einem IT System, dass kalkulierte Wartezeiten und das aktuelle Aufkommen anzeigt. "