Leitende Oberärztin Miriam Schuchhardt über Beckenbodenprobleme
Heutzutage wird im Fernsehen über fast alles gesprochen und auch die Werbung preist mittlerweile vielfältige Produkte für die intimsten Bereiche an. Trotz allem ist es für viele Menschen immer noch schwierig, sich mit bestimmten Problemen des Körpers vor allem im Bereich des Unterleibs, auseinanderzusetzen oder gar mit anderen darüber zu reden.
Fachärztinnen und Fachärzte in der Gynäkologie benötigen daher viel Empathie und ein besonderes Einfühlungsvermögen, um mit ihren Patientinnen vermeintliche Tabuthemen zu besprechen. Miriam Schuchhardt ist leitende Oberärztin in der Asklepios Klinik Schwalmstadt, ihr obliegt die Sektionsleitung der operativen Gynäkologie. Nach dem Medizinstudium an der Universität Gießen war sie Assistenzärztin in der ehemaligen Frauenklinik in Homberg. Vor elf Jahren wechselte die junge Medizinerin mit der gesamten Abteilung nach Schwalmstadt und legte 2015 ihre Facharztprüfung für Gynäkologie und Geburtshilfe ab.
„Im Allgemeinen befassen wir uns mit allen Themen rund um Schwangerschaft und Geburt sowie krankhaften Veränderung von Gebärmutter und Eierstöcken“, umschreibt die 39-Jährige ihr Fachgebiet. „Die Altersspanne der Patientinnen reicht von der Pubertät bis ins hohe Alter“, berichtet Schuchhardt, „vor allem beim erstmaligen Besuch bestehen oftmals Ängste“, lautet ihre Erfahrung. „Man muss eine Vertrauensbasis schaffen“, sagt sie.
Neben Problemen in der Schwangerschaft schicken Frauenärzte ihre Patientinnen unter anderem auch wegen Blutungsstörungen, Myomen (Muskelknoten) oder Zysten an den Eierstöcken sowie zur Abklärung von Unterbauchschmerzen zu den Spezialisten in Ziegenhain - ein weiteres großes Gebiet sind Beckenbodenprobleme.
INTERVIEW
F: „Vor kurzem habe ich einen Bericht über eine Gebärmuttersenkung gelesen. Frau Schuchhardt, was versteht man unter einer Gebärmuttersenkung und einer Beckenbodenschwäche?“
A: „Der Beckenboden besteht aus drei Schichten Muskulatur. Er dient dazu, die inneren Organe im Bauchraum zu halten. Darüber hinaus verschließt er das Becken nach unten und beinhaltet zudem Schließmuskel für Blase und Darm. Eine natürliche Schwachstelle des Beckenbodens in der weiblichen Anatomie ist die Scheide, denn sie bildet quasi eine Lücke in der Muskulatur. Deshalb kommt es bei Frauen viel häufiger zu Problemen in dem Bereich.
Dies kann zu einer Absenkung der Gebärmutter führen, Blase und Darm können sich dann in die Scheide vorstülpen. Im Extremfall tritt die Gebärmutter durch die Scheide sogar nach außen. Eine Beckenbodenschwäche betrifft im Laufe Ihres Lebens 30-50% aller Frauen.
F: „Können Frauen rechtzeitig spüren, dass sie eine Senkung haben?“
A:“Viele Frauen sind zunächst symptomlos, bei einer fortgeschrittenen Senkung verspüren einige Frauen ein Fremdkörpergefühl in der Scheide. Viele Patientinnen können auch mit dem Finger Ihre Gebärmutter im Scheideneingang tasten. Unbehandelt kann es zu sogenannten Druckgeschwüren im Bereich des Gebärmutterhalses sowie zum blutigen Ausfluss aus der Scheide kommen. Da es bei einer Gebärmuttersenkung auch zusätzlich zu einer Senkung der Blase und des Enddarmes kommt, gibt es häufiger Blasenentleerungsstörungen und häufige Blasenentzündungen sowie Verstopfung oder Schmerzen beim Stuhlgang. Vereinzelt tritt auch eine Stuhlinkontinenz auf. Es kann sogar zu einem totalen Vorfall der Gebärmutter kommen, welche dann bereits von außen zu sehen ist und starke Beschwerden verursacht.
F: „Gibt es irgendwelche Ursachen und Risikofaktoren, die zum Entstehen dieser Krankheit führen?“
A: „Unter anderem können schwere körperliche Arbeit, viele oder schwere vaginale Geburten, Übergewicht oder chronischer Husten, etwa durch das Rauchen sowie allgemeine Bindegewebsschwäche die Gefahr erhöhen.
F: „Kann man einer Beckenbogenschwäche und Gebärmuttersenkung vorbeugen?
A: „Ausreichend Bewegung und Sport sind immer gut- allerdings lieber Schwimmen und Radfahren statt Joggen und Trampolinspringen. Nach einer Geburt sind spezielle Rückbildungskurse und Beckenbodengymnastik dringend zu empfehlen, um die wichtige Muskulatur wieder in die Ausgangslage zu bringen.
F: „Wenn nun die Diagnose der Gebärmuttersenkung gestellt wird, welche Behandlungen stehen dem Arzt zur Verfügung?“
A: „Erste Anzeichen sollte man frühzeitig ansprechen. Oftmals lassen sich dann viele Probleme noch ohne operativen Eingriff behandeln. Man muss zum Beispiel eine beginnende Blasenschwäche nicht einfach hinzunehmen und sich ausschließlich auf die Hygieneartikel aus der Fernsehwerbung verlassen.
Die Behandlung richtet sich nach dem jeweiligen Stadium der Senkung und dem Alter der Patientin .Neben dem bereits angesprochenen speziellen Training gibt es weitere risikoarme Heilverfahren wie etwa eine lokale Hormon-Behandlung, die eine Stärkung der Schleimhaut bewirkt oder auch die Pessar-Therapie. Wenn die konservativen Methoden nicht ausreichen, müssen wir gegebenenfalls operieren. Man kann beispielsweise bei bestimmten Formen der Harninkontinenz die abgesenkte Harnröhre mit einem Bändchen anheben.
Über den vaginalen Zugangsweg können die Beckenbodenstrukturen, die sich gesenkt haben, in Ihre ursprüngliche Lage zurückgebracht werden. Mit einer Straffung der Scheidenwand drängen wir die Vorwölbung der Blase und des Darms zurück. Oft ist es auch notwendig die Gebärmutter, die gesenkt ist, zu entfernen. Dies geschieht entweder durch die Scheide, mittels Bauchschnitt oder minimalinvasiv durch Bauchspiegelung.
Bei manchen Patientinnen wird mit Hilfe eines Netzes der Beckenboden wieder stabilisiert .Eine elegante und risikoarme Möglichkeit ist das Anheben des Scheidenendes oder der verbleibenden Gebärmutter durch Einlage eines Netzes mittels einer Bauchspiegelung.
Die Behandlung muss immer ganz individuell auf die Patientin abgestimmt werden. Für die Anamnese und Untersuchung sollte man sich deshalb viel Zeit nehmen und offen über die bestehenden Probleme reden.“