Zum 10. Europäischen Tag der Epilepsie: Epilepsie im Alter – Signale erkennen und richtig (be-)handeln
Wussten Sie, dass Epilepsien nach Schlaganfall und Demenz zu den dritthäufigsten neurologischen Störungen im höheren Lebensalter ab 65 Jahren gehören? Bei einem epileptischen Anfall gerät das Gehirn kurzzeitig in ein Ungleichgewicht. Diese Krankheit wird aber gerade bei Betroffenen im höheren Lebensalter häufig übersehen, da die Symptome insbesondere von fokalen Anfällen leicht missdeutet werden können.
Die gute Nachricht vorweg: Epilepsie lässt sich auch im höheren Lebensalter gut (medikamentös) behandeln. Das heißt aber nicht, dass man die Krankheit dadurch weniger ernst nehmen sollte. Denn nur, wenn sie erkannt wird, kann sie gezielt behandelt werden und der Betroffene beschwerdefrei leben. Auf welche Anzeichen Betroffene und Angehörige besonders achten sollten, erklärt Prof. Dr. Günter Seidel, Chefarzt Neurologie der Asklepios Klinik Nord, Hamburg anlässlich des 10. Europäischen Tags der Epilepsie.
Frage 1: Wie reagiert man als Angehöriger/Helfer, wenn man einen akuten epileptischen Anfall beobachtet?
Tipp 1:
Bleiben Sie als Angehöriger/Helfer ruhig und schützen Sie den Betroffenen vor Verletzungen. Dazu zählt auch, die Atemwege freizuhalten. Lockern sie eventuell am Hals eng liegende Kleidung. Was hingegen vermieden werden sollte: Öffnen Sie während eines Anfalls nicht den Mund oder schieben einen Gegenstand zwischen die Zähne. Dies erhöht das Verletzungsrisiko.
Tipp 2:
Lassen Sie Betroffenen nicht allein, schauen Sie auf die Uhr, wie lange der Anfall andauert. Die meisten Anfälle sind nicht lebensgefährlich und nach wenigen Minuten vorbei. Tritt ein Anfall zum ersten Mal auf, dauert länger als fünf Minuten oder ist umfassend mit Zuckungen am ganzen Körper, sollte sofort ein Notarzt gerufen werden, der den Betroffenen in die Klinik bringt.
Frage 2: Hat mein Angehöriger Epilepsie? Welche Anzeichen deuten darauf hin?
Tipp 1:
Schauen Sie genau hin, dokumentieren Sie den Anfall (mit einem Handyvideo), analysieren Sie die Situation und klären Sie mögliche Ursachen: häufig wird eine Epilepsie im Alter deshalb nicht erkannt, weil beispielsweise ein Sturz als Folge des Alterns missdeutet wird oder sich auch allein durch gestörtes Bewusstsein, fehlende Kontaktfähigkeit und starrem Blick mit nachfolgender Desorientiertheit und Verwirrtheit äußern kann. Auch nestelnde Bewegungen der Hände, Schmatzen mit dem Mund, Wiederholen einzelner Wörter oder unkontrollierte Handlungen können Hinweise für eine Epilepsie im Alter sein. Allen Symptomen gemein ist, dass währenddessen der Betreffende nicht auf Ansprache reagiert und sich im Anschluss nicht an das Ereignis erinnern kann. Auch Verwirrtheitszustände kommen in dieser Phase nach dem Anfall vor, die kurze Zeit oder mehrere Stunden andauern können. Es hilft, wenn Betroffene oder Angehörige die Möglichkeit im Hinterkopf haben, dass auch eine Epilepsie zugrunde liegen kann. In jedem Fall sollte der Hausarzt konsultiert werden, der einen Patienten dann beispielsweise an uns als neurologische Abteilung in der Asklepios Klinik Nord überweist. Eine möglichst präzise Schilderung des Vorfalls durch den Betroffenen selbst und anwesende Angehörige hilft sowohl beim Hausarztgespräch wie auch uns, um Ursachen schnell zu klären. Wenn vom Verlauf des Anfalls eine kurze Videosequenz mit dem Smartphone angefertigt wird, konkretisiert dies die Schilderungen. Auch wenn es nicht lebensgefährlich ist, wenn eine solche Epilepsie nicht sofort erkannt wird, so schmälert eine unerkannte Epilepsie mittelfristig die Lebensqualität des Betroffenen, da Unfälle so in Zukunft nicht vermieden werden können oder, falls ein nächster Anfall hinter dem Steuer eines Fahrzeugs stattfindet, Schlimmeres passieren kann.
Tipp 2:
Beachten Sie Begünstigungseffekte. Prinzipiell kann jede Erkrankung des Hirns mit einer Epilepsie einhergehen. Der Großteil der Epilepsien im Alter lässt sich ursächlich einer der folgenden vier Erkrankungsgruppen zuordnen: Zuvor aufgetretene Kopfverletzung (Schädel-Hirn-Trauma), Schlaganfall, beginnende oder manifeste Demenz, Hirntumor oder übermäßiger fortgesetzter Alkohol-Missbrauch begünstigen eine Epilepsie.
Frage 3: Wie wird eine mögliche Epilepsie diagnostiziert und wie sieht eine Therapie aus?
Hier in der Klinik erheben wir die Krankengeschichte und untersuchen den Betroffenen. Mithilfe eines EEG (Elektroenzephalografie) können wir die elektrische Aktivität des Gehirns messen. Eine zusätzliche Untersuchung mit einem bildgebenden Verfahren kann ebenso Aufschluss über die Ursache eines Anfalls geben.
Stellen wir schließlich die Diagnose einer Epilepsie, beginnt die medikamentöse Therapie. Diese ist notwendig um das Risiko für zukünftige Anfälle zu reduzieren. Der Großteil der Patienten, bei denen im Alter eine Epilepsie auftritt, spricht in kurzer Zeit auf die medikamentöse Behandlung ohne gravierende Nebenwirkungen an. In seltenen therapieresistenten Fällen können wir auch andere Methoden - bis hin zur Epilepsiechirurgie - zum Einsatz bringen. Generell sind Epilepsien im höheren Lebensalter meist sehr gut behandelbar und wirken nicht lebensverkürzend. Die Sensibilisierung und der genaue Blick auf die Symptome einer möglichen Altersepilepsie sind die entscheidenden Faktoren zu einem in dieser Hinsicht langfristig beschwerdefreien Leben.
Schon gewusst?
Julius Cäsar, Leonardo Da Vinci, Alexander der Große, Georg Friedrich Händel, Agatha Christie, Thomas Edison sind nicht nur alle unbestritten außergewöhnliche Persönlichkeiten der Zeitgeschichte – sie alle waren auch an Epilepsie erkrankt, litten zumindest zeitweise unter Anfällen oder es bestand der Verdacht, dass dies der Fall war. Allein diese Beispiele – und es gibt noch viele mehr – zeigen, dass Epilepsie und epileptische Anfälle mit hoher und höchster Intelligenz einhergehen können und kein Hindernis für großartige Leistungen sind.