ASCO 2024: Bahnbrechende Fortschritte in der Lungenkrebstherapie
Vom 31. Mai bis zum 4. Juni fand in Chicago die jährliche Konferenz der ASCO statt, der American Society of Clinical Oncology. Einer der Teilnehmer war Niels Reinmuth, Chefarzt der Onkologie der Asklepios Lungenklinik Gauting. Im Interview berichtet er unter anderem, welche vorgestellten Studien zu innovativen Lungenkrebstherapien ihn besonders beeindruckt haben, warum etablierte Behandlungsmuster hinterfragt werden müssen, was Künstliche Intelligenz leisten kann – und wie die Forschungsergebnisse den Patienten in Gauting zugutekommen.
Professor Reinmuth, welche Bedeutung hat die ASCO-Konferenz?
Sie steht mit an der Spitze der internationalen Kongresse zu innovativen Krebstherapien. Alle wichtigen und umfangreichen Studien werden entweder dort oder beim Kongress der European Society for Medical Oncology, ESMO, vorgestellt. Lungenkrebs ist dabei ein wichtiger Bereich. Es sind mehrere Zulassungen in Europa zu erwarten, die in den USA bereits umgesetzt wurden. Kliniken müssen sich darauf vorbereiten, da diese neuen, wirksamen Medikamente auch gewisse Toxizitäten mit sich bringen. Solche Entwicklungen und Standortbestimmungen werden vor allem auf Kongressen deutlich, da dort wichtige Gespräche und Einordnungen stattfinden, die online schwer zu vermitteln sind. Die ASCO-Konferenz steht für weltweit führende Spitzenmedizin – und das ist es, was wir in der Asklepios Lungenklinik Gauting betreiben.
Welche Themen standen dieses Jahr im Mittelpunkt?
Vor allem die personalisierte Medizin, Immuntherapien, Fortschritte in der molekularen Diagnostik und neue Kombinationstherapien standen im Fokus. Intensiv waren zudem die Diskussionen über die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Krebsdiagnostik und -therapie.
Was erwartet uns konkret bei der personalisierten Therapie?
Deren Bedeutung nimmt definitiv zu, das haben mehrere unmittelbar therapieverändernde Studien veranschaulicht. Im Fokus stehen nun nicht mehr ausschließlich therapierbare Mutationen, sondern auch bislang nicht behandelbare. Für erstere wurden Vergleiche zwischen der Effektivität verschiedener Medikamente präsentiert. Klar ist: Die personalisierte Therapie gehört mittlerweile fest zu unserer Vorstellung von Krebsbehandlung – und dieses Gesamtkonzept wird immer komplexer.
Können Sie das genauer erläutern?
Das alte Schema aus Chemo-, Immuntherapie sowie zielgerichteter Behandlung ist nicht mehr zeitgemäß. Diese Therapieformen werden noch in diesem Jahr durch komplexere Antikörper, Antikörper-Drug-Konjugate und teilweise Vakzinierungen erweitert. Die Behandlungen werden zunehmend individuell und personalisiert. Das bedeutet, dass durch die richtigen Marker der beste Therapieansatz für den Patienten ermittelt wird. Dies wird immer schwieriger, da es viele verschiedene Therapieansätze gibt, die nicht alle gegeneinander getestet wurden. Daher müssen diese Entscheidungen im Gespräch und durch Vergleich und Diskussion getroffen werden.
Welchen Einfluss wird KI in Zukunft haben?
Noch spielt sie keine große Rolle, aber das wird definitiv kommen. KI wird integraler Bestandteil des Tumorkrebs-Screenings sein, der Diagnose mithilfe von Bildgebung und Pathologie sowie der komplexen Auswertung von Markern. Darüber hinaus gibt es innovative Ansätze, bei denen für jeden Patienten sozusagen ein spezielles Vakzin entwickelt wird – ohne die Unterstützung von KI wäre dies undenkbar.
Welche Studien haben Sie beim ASCO-Kongress besonders beeindruckt?
Zum einen die CROWN-Studie, in der die Medikamente Lorlatinib und Crizotinib zur Behandlung des nichtkleinzelligen Lungenkrebses einander gegenübergestellt wurden: Unter Lorlatinib wurde eine progressionsfreie Überlebensrate von deutlich mehr als fünf Jahren erreicht. Außerdem die ADRIATIC-Studie, die den Nutzen einer Immuntherapie nach Radiochemotherapie am kleinzelligen Lungenkarzinom im limitierten Stadi-um gezeigt hat. Den nachhaltigsten Eindruck jedoch hat bei mir die LAURA-Studie hinterlassen: Sie weist nach, dass der zielgerichtete Einsatz von Osimertinib nach Ra-diochemotherapien die Spanne des krankheitsfreien Überlebens signifikant erhöhen kann. Besonders bemerkenswert: Die Behandlung ist unbefristet – wir müssen also hin-terfragen, wo ein Therapieeinsatz eigentlich kurativ ist und wo palliativ.
Was war das Thema Ihrer Präsentation?
Wir haben in Gauting an einer Studie mitgewirkt, die die Lebensqualität im Rahmen einer Tablettentherapie bei Lungenkarzinomen mit Met Exon14-Skipping-Mutationen auswertet. Die Untersuchung zeigt die hohe Effektivität von Tepotinib bei allen Patienten, unabhängig von den Risikogruppen. Die Resonanz auf die Präsentation war sehr positiv. Es gab reges Interesse und Fragen insbesondere hinsichtlich der praktischen Umsetzung und der Optimierung der Dosierungsschemata.
Welche Erkenntnisse sind aus Ihrer Sicht besonders relevant für die Asklepi-os Lungenklinik Gauting?
Die wichtigsten Erkenntnisse und Erfahrungen von der ASCO 2024 zeigen, dass es erhebliche Fortschritte und Veränderungen in der Onkologie gibt. Es ist unerlässlich, jeden Patienten molekular zu testen, da die Sub-Gruppierung von Lungenkarzinom-Patienten immer differenzierter wird. Zudem gab es bedeutende, alltagsrelevante Er-gebnisse bei verschiedenen Therapien, die nun in der Praxis umgesetzt werden sollen.
Die Daten zu Durvalumab beim kleinzelligen Lungenkarzinom, Osimertinib beim Stadium 3 des nicht-kleinzelligen Lungenkrebses sowie zu Lorlatinib sind für uns unmittelbar therapierelevant. Außerdem sollten wir alle Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom ab Stadium 1b molekular testen. Das war bisher nicht so, nur jetzt liegen Daten für alle Stadien ab 1b vor.
Schließlich werden verschiedene, neue Forschungsprojekte initiiert und angepasst, um die neuen Ansätze weiter zu erforschen und zu implementieren.
Insgesamt müssen die medizinischen Fortschritte schnell und effektiv in die erforderlichen organisatorischen Anpassungen der Klinik überführt werden, um die neugewonnen Erkenntnisse zu integrieren und unseren Patienten die bestmögliche Behandlung zu kommen zu lassen.