„Es ist ein gewisses Risiko, aber man kann tatsächlich helfen!“ – Marvin Hensch über seinen Hilfseinsatz in der Ukraine

Seit 2020 studiert Marvin Hensch am Asklepios Campus Hamburg der Semmelweis Universität (ACH) Medizin. Davor absolvierte der 26-Jährige eine Ausbildung als Rettungssanitäter und arbeitet nebenbei in der Notaufnahme der Aklepios Klinik Harburg. Anfang des Jahres verbrachte er vier Wochen in der Ukraine und hat im Rahmen eines Projekts der Hilfsorganisation Cadus vor Ort unter anderem verwundete Soldat:innen von sogenannten „Primary Field Hospitals“ in die Krankenhäuser des Landesinneren verlegt. Wir haben mit ihm über seinen Einsatz und seine Erfahrungen in der Ukraine gesprochen.

Bild: Ausrüstung Hilfseinsatz Ukraine
Schutzausrüstung für den Hilfseinsatz

Asklepios Campus Hamburg: Herr Hensch, Sie waren Anfang des Jahres im Kriegsgebiet der Ukraine, um den Menschen vor Ort zu helfen. Was hat Sie motiviert genau dort hinzufahren?
Marvin Hensch: Mir war es einfach wichtig, einen Beitrag in diesem Konflikt leisten zu können. Ich wollte konkret etwas zur Sicherheit und Souveränität der Ukraine beitragen und vor allem der Zivilbevölkerung helfen. 

ACH: Was waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie vor Ort ankamen? 
Hensch: Zunächst kamen wir mit dem Reisebus in Lviv an und haben vor Ort zwei Tage verbracht. Die erste Zeit ging es eher ruhig zu. Lviv liegt ja ganz im Westen der Ukraine. Dann ging es weiter nach Dnipro, im Osten des Landes. Dort haben wir dann schon die ersten Luftalarme mitbekommen und waren am Anfang unsicher, wie man sich verhalten sollte. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran und konnte immer besser abschätzen, wann es wirklich gefährlich wird. 

ACH: Wie veränderte sich die Lage, je näher Sie und Ihre Kolleg:innen dem Frontgebiet kamen?
Hensch: Je weiter man nach Osten fuhr, umso häufger hatte man Check-Points auf den Straßen. Dabei haben wir dann auch IFAKs (individuelle First Aid-Kits) bei uns getragen. Ab einer gewissen Gefahrenstufe haben wir auch Schutzwesten und Helme getragen. 

ACH: Haben Sie sich bei Ihrem Einsatz sicher gefühlt?
Hensch: Dass man sich einem gewissen Risiko aussetzt, ist natürlich klar, aber wir sind gemeinsam mit der Hilfsorganisation nie so dicht an der Front gewesen, als dass man sich ständig einer Gefahr ausgesetzt gefühlt hätte. Das hätte auch keinem geholfen und ist nicht Ziel der Hilfsorganiation. Unsere Aufgabe war es vor allem, medizinische Verlegungen zu fahren und diese zu organisieren.

ACH: Können Sie einmal genauer beschreiben, wie so etwas abläuft?
Hensch: Ja klar! Verwundete Soldat:innen, die von der Front kommen, werden zunächst zu sogenannten „Trauma Stabilisation Points“ evakuiert, wo ein initiales Assessment stattfindet und sie notfallmäßig behandelt werden – zum Beispiel Wundverbände angelegt oder Infusionen gelegt werden. Dann werden diese Soldat:innen möglichst schnell rausgefahren zu sogenannten „Primary Field Hospitals“. Dort können unter anderem innere Blutungen eingeschätzt werden und erste Operationen stattfinden. Dabei geht es also erstmal nur darum, das Überleben der Verwundeten zu sichern. Unsere Arbeit startete dann in diesen ersten „Auffangstationen“ – von da aus haben wir die Soldat:innen abgeholt und sie in größere Traumazentren im Landesinneren gefahren. Wir haben darüber hinaus auch Kurse und Schulungen zu „First Aid“ und „TCCC“, spezieller militärischer Notfallmedizin, gegeben, um Helfer:innen und Personal vor Ort handlungsfähiger zu machen. 

ACH: Wie haben Sie die medizinsche Versorgung vor Ort wahrgenommen?
Hensch: Die „Trauma Stabilisation Points“ und die „Primary Field Hospitals“ waren meistens Militäreinrichtungen der ukrainischen Armee und haben sehr schnell, pragmatisch und effizient gearbeitet, was sie auch mussten, um möglichst viele Verwundete retten zu können. 

ACH: Gab es für Sie in der ganzen Zeit, in der Sie vor Ort waren, ein prägendes Ereignis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Hensch: Ja, am 14. Januar gab es einen Langstreckenraketenanschlag in der Stadt, in der wir gewohnt haben. Dort wurde ein ziviler Wohnblock mit neun Stockwerken beschossen, der auch eingestürzt ist. Da haben wir auch bei den Rettungsaktionen unterstützt, medizinische Hilfe und medizinsche Absicherung für die Feuerwehr geleistet. Sowas erleben und erfahren zu müssen ist natürlich hart.

ACH: Wie geht man vor Ort mit solchen Erfahrungen um, wie unterstüzt die Hilfsorganisation?
Hensch: Wir haben viel im Team gesprochen, was hilft, weil man mit jemandem sprechen kann, der das gleiche erlebt hat. Und man kann auch jederzeit professionelle psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. 

ACH: Was würden Sie jemandem empfehlen, die oder der auch so einen Einsatz machen möchte?
Hensch: Es ist schon erforderlich einen gewissen Backround, wie zum Beispiel bei mir die Berufserfahrung im Rettungsdienst, zu haben. Aber auch da kann man sich bei den Hilfsorganisationen informieren, für welche Tätigkeiten man geeignet ist, beziehungsweise welche Voraussetzungen man mitbringen muss. Die Hilforganisationen bereiten einen auch gut auf die jeweiligen Einsätze vor. Wichtig ist natürlich, dass man realistische Erwartungen mitbringt. So ein Einsatz ist riskant, es ist schließlich ein Kriegsgebiet. Aber mithilfe der Hilfsorganisation kann man ja auch abschätzen, wo man hinfährt und ein kalkuliertes Risiko, das im Verhältnis zu dem was man machen will und kann, berücksichtigen. Man sollte sich die Frage stellen, was kann ich anbieten, was hilft tatsächlich – und das sollte idealerweise im Verhälnis zum Risiko stehen.

ACH: Was können Sie potenziellen Helfern abschließend mit auf den Weg geben?
Hensch: Man gewinnt auf jeden Fall wertvolle Eindrücke und professionelle berufliche Erfahrungen für weitere Einsätze. Außerdem erfährt man extrem viel Dankbarkeit, von den Soldat:innen aber auch von der Bevölkerung direkt.

ACH: Herr Hensch, vielen Dank für das Gespräch!

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