Out of the box: Artgerechte Ernährung
Als erste Out of the box-Veranstaltung des Wintersemesters am Asklepios Campus Hamburg (ACH) und Auftakt zu einer neuen Wahlpflichtveranstaltung referierte Dr. Matthias Riedl, ärztlicher Leiter des medicum Hamburg, über das Thema "Artgerechte Ernährung".
„Ich habe meine Ernährung umgestellt – die Schokolade steht jetzt links vom Computer“ lautet ein gängiger Witz. Was auch immer die Studierenden am 20. Oktober während der online-Vorlesung von Dr. Matthias Riedl als Snack neben ihrem Bildschirm stehen hatten: Nach diesem informationsreichen Vortrag wird er wahrscheinlich anders aussehen. Dr. Monika Grimm vom Leitungsteam Lehrkoordinatorin am ACH moderierte zunächst den Internisten, Ernährungsmediziner, Diabetologen und ärztlichen Leiter von medicum Hamburg (Zentrum für Ernährungsmedizin) an, stellte ihn als den „Ernährungs-Doc“ aus der gleichnamigen NDR Sendereihe vor und dankte ihm dafür, dass er mit der Out of the box-(OTB)-Vorlesung gleichzeitig den Auftakt zu dem gleichnamigen Wahlpflichtkurs im Wintersemester übernommen hatte.
Mit dem richtigen Essen vorbeugen, lindern und sogar heilen
Gleich zu Anfang formulierte Dr. Riedl das Credo eines jeden Ernährungsmediziners und -therapeuten im medicum Hamburg: Mit dem richtigen Essen könne man Krankheiten aktiv vorbeugen, lindern und sogar heilen. Dieser Satz setze allerdings ein enormes medizinisches Wissen über Krankheiten voraus: Welche besondere Ernährungsform verlange welche Erkrankung? Welche zusätzliche Diagnostik müsse gemacht werden? Der Ausschluss welcher Unverträglichkeiten könne weiterhelfen? Welche Medikamente hätten welche Nebenwirkungen oder seien möglicherweise Dickmacher? Grundsätzliches Ziel eines Ernährungsmediziners sei, den Patienten bei seiner Selbstheilung durch Ernährung zu unterstützen. „Die Selbstheilung hängt jedoch ausschließlich davon ab, inwieweit der Patient hoffnungsvoll ist, wie weit ich ihm klar machen kann, dass die Maßnahmen, die ich ihm vorschlage, effektiv sind, ob wir gemeinsam den Hauptfehler in der Ernährung herausbekommen und wie groß die Bereitschaft ist, Tipps auch umzusetzen. All das hat viel mit Kommunikation zu tun“, beschrieb Dr. Riedl seine wichtigste Aufgabe. Als besonders erfolgreich habe sich dabei das sogenannte 20:80 Prinzip erwiesen, das er und sein Team im medicum Hamburg entwickelt hätten. Es besagt, dass bei den meisten Patient:innen nur 20% Ernährungsoptimierung nötig seien, um langfristig und nachhaltig Gewicht zu reduzieren, den Blutdruck zu normalisieren und den Cholesterinspiegel zu senken.
"Die Ernährung in den ersten drei Lebensjahren ist prägend"
Im Zentrum der Ernährungsmediziner stehe die Erforschung der Wirkung von Mikroben bzw. Mikroorganismen, die für den Stoffkreislauf wichtig sind: „Wenn wir zur Welt kommen, haben wir bei Betreten des Geburtskanals 1000 verschiedene Arten von Mikroben aufgenommen, die auf den leeren Darmtrakt stoßen. Wird ein Kind per Kaiserschnitt geboren, kommt es mit der Bürde auf der Welt, nicht richtig „geimpft“ zu sein“, erklärte der Internist. Viele der Mikrobenarten seien an der Verdauung beteiligt oder produzierten Substanzen, die die Schleimschicht des Darms aufrechterhalten. Daher seien vor allem die Ernährung der ersten 1000 Tage im Leben eines Menschen wichtig. Die unbequeme Wahrheit formulierte Dr. Riedl so: „Die Eltern entscheiden schon vor der Befruchtung, in der Schwangerschaft und in den ersten Jahren mit der Essensprägung über das Risiko des Kindes später Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes zu kriegen. Auch wenn 75 Prozent unserer Ernährungspräferenzen genetisch definiert sind, sind Vorbild und Prägung der ersten drei Jahre entscheidend.“ „Danach“, so die Erfahrung des Ernährungsmediziners, „sind McDonalds & Co stärker als die Eltern, und die Werbung gibt den Rest dazu.“ Dies sorge mit der Zeit für einen zu schmalen Speiseplan und mit der Zeit zu einer relevanten Veränderung der Darmflora.
Die "Artenvielfalt" im Darm erhalten
Als Folge sei die Entstehung von Zivilisationskrankheiten wie zum Beispiel Allergien zu beobachten. Zur Veranschaulichung verglich der Ernährungsmediziner den Darm mit einem Ökosystem: Wenn die Darmflora durch wenig Abwechslung zu einer Monokultur werde, also die „Artenvielfalt“ bedroht sei, führe die „Artenarmut“ auf Dauer zu einem „Artensterben“. Dadurch nehme die Biodiversität ab und die Anfälligkeit für Krankheiten zu. Grund dafür seien oft eine ballaststoffarme Ernährung und zu viele Zusatzstoffe (Emulgatoren) in Lebensmitteln, von deren Wirkung auf die Darmflora noch viel zu wenig bekannt sei. Denn: „Wir wissen gerade mal vielleicht fünf Prozent über den Darm“, bekannte Dr. Riedl. Wer aber glaube, in so einem Fall sei bereits alles zu spät, wurde im Laufe der Vorlesung eines Besseren belehrt: Heilen, Lindern und Vorbeugen sei bei zahlreichen Krankheiten ein Leben lang möglich. In seiner 20-jährigen Berufstätigkeit habe der Ernährungsmediziner in seiner täglichen Praxis erlebt, dass Diabetes Typ 2, Parodontitis, Neurodermitis, Unfruchtbarkeit, Refluxkrankheit, Gicht, erhöhte Blutfette, Bluthochdruck, Verstopfung, Fettleber, Übergewicht etc. heilbar seien. Besserung durch eine Ernährungsumstellung habe er bei Patient:innen mit Rheuma, Arthrose, COPD, Osteoporose, Colitis, Nierenschwäche, Krebs, Hämorrhoiden, Reizdarm oder Intoleranzen erlebt. Entscheidend sei bei allem nur eines: „Alle Tiere haben eine artgerechte Ernährung – nur der homo sapiens nicht“, so die nüchterne These des Internisten.
Konkrete Ernährungstipps zum Schluss
Sein simpler Rat lautete daher: „Esst Euch satt mit Gemüse! Außerdem wenig Zucker, wenig raffiniertes Mehl, Kohlenhydrate nur bei zusätzlicher Bewegung, dafür Omega3-Fettsäuren, gesunde Fette und vor allem Ballaststoffe aus Gemüse und Nüssen.“ Diese schwer zu verdauenden Anteile der Ernährung sorgten in seinen Augen für einen gesunden Darm, sie senkten den Blutdruck und das Risiko für Diabetes, schützten die Zähne und unterstützen die Gewichtsabnahme. Am Ende folgten konkrete Zahlen bzw. Rechenaufgaben: Am Tag seien 1,2g Eiweiß und 0,03 l Wasser pro Kilogramm Körpergewicht nötig, außerdem 30g Ballaststoffe, die in ca. 500 g Gemüse enthalten seien. „Aber auch bei der Wahl der Gemüsesorten bitte keine Monokultur, sondern möglichst 25 unterschiedliche Sorten – und das pro Woche“, empfahl der Referent des Abends. Zum Schluss lautete daher seine Hausaufgabe für alle Studierenden: von jetzt an Gemüsesorten zählen. Eine hilfreiche Faustregel lieferte Dr. Riedl aber zum Glück gleich mit: „Ihr Essen sollte einfach immer aussehen wie ein bunter italienischer Antipasti-Teller.“