„Wir suchen durchaus immer mal wieder Ärzte“
In ihrem Vortrag „Polarforschung – Faszination und Gefahr“ weckte die bekannte Polarforscherin Prof. Dr. Karin Lochte bei den Studierenden am Asklepios Campus Hamburg nicht nur Interesse, sondern auch Sehnsucht nach dem Leben und Arbeiten im extremen Eis.
Zu Beginn des außercurricularen Abends am 18 April dankte Geschäftsführer Dr. Christoph Jermann zunächst der Biologin und Ozeanographin für ihre Bereitschaft zu einem Vortrag am ACH. Die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse war bis zum vergangenen Jahr Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, eines der großen seiner Art weltweit mit Sitz in Bremerhaven. Die Mission der Wissenschaftlerin bei ihrem Besuch am ACH klang ganz einfach: „Mir liegt es sehr am Herzen, Ihnen etwas, das sehr weit weg ist, nahe zu bringen“ Und das gelang der charismatischen Wissenschaftlerin sichtbar: Mit beeindruckenden Bildern, verständlichen Erklärungen sowie unaufgeregt erzählten Eindrücken und Geschichten nahm sie die anwesenden Studierenden auf eine Reise der Extreme mit, die viele Antworten gab und noch mehr Fragen aufwarf.
Beeindruckend: Die Schilderungen des Lebens sowie der internationalen Forschung zum Klimawandel in den polaren Gebieten, sowohl am Nordpol in der sich stark erwärmenden Arktis, die ein durch Nordamerika, Asien und Europa begrenztes Mittelmeer ist, als auch in der Antarktis am Südpol, die mit ihrer riesigen Eisfläche von ca. 20 Mio. Quadratkilometern einen eigenen Kontinent bildet.
Beunruhigend: Die starke Erwärmung der Arktis (die weniger abgeschirmt und dadurch gefährdeter ist als die Antarktis), die deutlich vom langjährigen Mittel abweicht. „Dieser Temperaturanstieg ist eine riesige Herausforderung für das System – und wir müssen uns auf noch stärkere Temperaturschwankungen einstellen,“ so lautete die Erkenntnis der Meeresforscherin. Pro Jahr werde in der Region ein Verlust von Meereseisfläche registriert, die sechs Mal der Fläche von Schleswig-Holstein entspreche.
Bewegend: Die Schilderungen des Lebens in der Neumayer-Station, einer deutschen Polarforschungsstation des AWI in der Antarktis, in der jährlich bis zu neun Expeditionsmitglieder überwintern. Oder des Einsatzes auf dem Forschungseisbrecher Polarstern des AWI, dem wichtigsten Instrument der Polarforschung, das sowohl der Versorgung der Polarstationen als auch der Erforschung der Weltmeere dient. Die weltweit erhobenen Daten dienen unter anderem als Grundlage für die institutionalisierte Beratung der Bundesregierung (u.a. im Zusammenhang mit dem IPPC-Klimareport) in Fragen des Klimawandels und der Meeresforschung.
Bemerkenswert: Mit Frau Prof. Lochte stand keine Person mit erhobenem Zeigefinger vor den Studierenden, die der nächsten Generation eine düstere Zukunft vorhersagte, sondern eine Wissenschaftlerin, die ihre Erfahrungen und Erkenntnisse über die Veränderungen in den Polar- und Weltmeeren in den Kontext Jahrhunderte, ja Jahrtausende umgreifender Daten möglichst neutral einordnete. Das hinderte die renommierte Wissenschaftlerin jedoch nicht daran, noch einmal ganz klar an die wichtigste Erkenntnis zu erinnern: „Wir Menschen müssen den CO2-Ausstoß drastisch verringern.“
Besonders hellhörig wurden die Studierenden bei der Bemerkung von Frau Prof. Lochte, dass sowohl auf dem Forschungsschiff Polarstern als auch ganzjährig in der der Neumayer-Station in der Antarktis immer auch ein Arzt oder eine Ärztin Teil des Teams ist. „Das müssen Sie sich als Medizin unter Extrembedingungen vorstellen: Extreme klimatische Bedingungen (stürmisch, eiskalt, dunkel und entlegen), extreme personelle Bedingungen (neben dem Arzt gibt es nur noch zwei bis drei medizinische Laienhelfer) und eine eingeschränkte räumliche sowie technische Ausstattung.“ Daher spiele das Thema Telemedizin durch Telemonitoring in Kooperation mit dem Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide eine große Rolle.
Mit dem abschließenden Hinweis der Wissenschaftlerin „Wir suchen durchaus immer mal wieder Ärztinnen und Ärzte für Polarstern und Polarstation“ war das, was so weit weg ist, gedanklich auf einmal für den einen oder anderen im Auditorium ganz nah.