Student Run Free Clinic – bald auch am ACH?
Es war ein Teilnehmerrekord. Schon vor Beginn der Veranstaltung war der Hörsaal bis auf den letzten Platz besetzt, und während der Veranstaltung kamen immer noch mehr Studierende dazu.
Sie alle wollten aus erster Hand Informationen zu der Studentischen Poliklinik (StuPoli) erhalten, die es seit anderthalb Jahren an der Goethe-Universität Frank¬furt/Main gibt. Referenten waren Prof. Dr. Dr. Dr. Robert Sader, Studien-dekan der Universitätsklinik Frankfurt/Main, Direktor der MKG Klinik und Gründer der StuPoli, sowie zwei Studenten im 11. Semester, Martin Koppitz (Leiter StuPoli) und Nicolai Pausewang (Marketing StuPoli).
Vorbild der StuPoli waren und sind, wie Herr Sader in seinem Eingangsvortrag ausführte, die Student Run Free Clinics, die es in den USA seit über 20 Jahren an mittlerweile über 130 Universitäten gibt, wo im Schnitt über 40 Prozent der Studierenden im Verlauf ihres Studiums irgendwann in einer solchen Einrichtung mitarbeiten. Die Idee: im Rahmen ihrer Ausbildung organisieren und leisten Studierende für Patienten ohne Krankenversicherung freiwillig eine kostenlose ambulante Primärversorgung unter (haus)ärztlicher Aufsicht. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass solche Studenten signifikant bessere Noten in klinischen Prüfungen erzielen und eine signifikant höhere Bereitschaft zeigen, in unterversorgten Gegenden in Kliniken zu arbeiten, die eher eine Basisversorgung und weniger hochspezialisierte Leistungen anbieten.
Mehr als 100.000 Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung
In Deutschland gibt es bisher erst eine einzige Student Run Free Clinic (wenn man einmal von der ähnlich angelegten Law Clinic der Bucerius Law School absieht), nämlich eben die StuPoli in Frankfurt. Sie wurde im Juni 2014 mit breiter politischer Unterstützung und in enger Kooperation mit dem städtischen Gesundheitsamt aus der Taufe gehoben und erhält durchweg gute Presse.
Herr Sader zu seiner Motivation: „Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland vor allem in den Ballungsgebieten weit über 100.000 Menschen ohne Krankenversicherung, die Dunkelziffer ist wahrscheinlich deutlich höher. Auch die Menschen außerhalb der Regelversorgung haben ein Anrecht auf medizinische Versorgung. Diese humanitäre Einstellung gehört meines Erachtens zum Arztberuf dazu. Die Studierenden ihrerseits verdienen eine möglichst gute Ausbildung. Die StuPoli bietet den Nicht-Krankenversicherten kostenlose und auf Wunsch anonyme Gesundheitsleistungen, den Studierenden zusätzliche allgemeinmedizinische Praxis, wichtige Lernmöglichkeiten im Bereich der kommunikativen, sozialen, interkulturellen Kompetenz sowie die Gelegenheit, sich mit organisatorischen, administrativen und kaufmännischen Aspekten ärztlicher Tätigkeit vertraut zu machen.“ Außerdem sei ein solches gesellschaftliches Engagement gut für das Image der Klinik, fördere ihre Vernetzung und Verankerung in der Stadt und sei volkswirtschaftlich sinnvoll, weil es durch eine verbesserte Basisversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung helfe, sekundäre Folgekosten zu senken.
Die Patienten, so Herr Sader weiter, kamen in den bisherigen anderthalb Jahren im Schnitt dreimal zur Konsultation an die StuPoli und konnten hier in den allermeisten Fällen zu Ende behandelt werden, die komplizierteren Ausnahmefälle wurden an kooperierende Ärzte weiter geleitet; ungefähr bei 50 Pozent der Patienten ist im Laufe ihrer Konsultationen eine Blutentnahme und Laboruntersuchung erforderlich. Uber 30 Prozent der Patienten kommen aus Rumänien und Bulgarien, 20 Prozent aus Ghana und weitere 20 Prozent aus anderen Ländern Afrikas, knapp 10 Prozent sind Deutsche; ernsthafte Probleme bei der sprachlichen Verständigung gibt es kaum.
StuPoli keine Konkurrenz zu Kliniken oder Hausarztpraxen
Die zweistündige wöchentliche Sprechzeit ist Teil eines Wahlpflichtfachs, so dass die Studierenden automatisch weiter unfall- und haftpflichtversichert sind. Die untersuchenden und behandelnden Zweierteams aus jeweils Studierenden der früheren und der späteren klinischen Semester arbeiten durchgängig unter der Supervision eines erfahrenen Arztes, der die medizinische Verantwortung trägt, so dass die nicht-versicherten Patienten qualitativ eine normale hausärztliche Behandlung erhalten. (Die Bezeichnungen „Student Run Free Clinic“ und „Studentische Poliklinik“ sind deshalb etwas missverständlich: vom Leistungsspektrum und von der Leistungsqualität her handelt sich um Hausarztpraxen; die einzigen Besonderheiten liegen darin, dass sie für nicht-versicherte Patienten gedacht sind und dass Studierende die Administration und die medizinischen Vorleistungen erbringen.)
Dennoch, betonte Herr Sader, steht die StuPoli in keinem Konkurrenzverhältnis zu Hausarztpraxen, da diese üblicherweise keine nicht-versicherten Patienten versorgen; gleichzeitig wird die StuPoli selten von – häufig ebenfalls nicht versicherten - Obdachlosen, Drogenabhängigen oder HIV-Positiven aufgesucht, weil diese Personen- bzw. Patientengruppen spezialisierte Einrichtungen frequentieren. Und eine Konkurrenz zur Klinik besteht außer wegen der Zielgruppe nicht-versicherter Patienten auch wegen der Beschränkung auf ambulante hausärztliche Leistungen nicht.
Die Kosten der Erstausstattung der StuPoli waren gering, da sowohl die Räume (Anmeldung, Wartebereich, Untersuchungs- und Behandlungsräume, Toiletten, etc.) als auch die Ausstattung (Liegen, Sonographiegerät, EKG-Gerät mit Ergometrie, medizinische Kleingeräte und Instrumente, Büroausstattung, etc.) vom Stadtgesundheitsamt gestellt wurden. Die laufenden Kosten der StuPoli bezifferte Herr Sader auf gegen 15.000 € pro Jahr, bei 2 Untersuchungs-/Behandlungsräumen mit 2 parallel arbeitenden Studierendengruppen und 8 – 10 Konsultationen pro zweistündiger wöchentlicher Sprechzeit. Gut die Hälfte der Kosten entfallen auf spendenfinanzierte Medikamente (von einer kooperierenden Apotheke). Pro Patient und Einzelkonsultation fallen im Durchschnitt Kosten von ca. 13 € an (ohne Medikamentekosten).
Herr Koppitz und Herr Pausewang ergänzten Herrn Saders Erläuterungen durch konkrete Einblicke in den von Studenten organisierten Alltag der StuPoli sowie durch nähere Informationen zu den zwei einsemestrigen, vorbereitenden Wahlpflichtmodulen, das System der studentischen peer-to-peer-Wissensvermittlung, die Supervision durch den Arzt und das einstündige Lehrgespräch nach jeder Sprechzeit.
„Eine tolle Idee!“ – so brachte nach den Vorträgen Herr Prof. Dr. Dr. Thomas Kreusch, Hamburger Kollege von Herrn Sader und wie dieser seit vielen Jahren regelmäßig ehrenamtlich als MKG-Chirurg in Entwicklungs- und Schwellenländern tätig, die Stimmung in dem Raum auf den Punkt. Nach einigen Informationsfragen an die Referenten drehte sich die Diskussion unter den Studierenden deshalb schon bald um die Frage, ob eine ähnliche Einrichtung – vielleicht in kleinerem Rahmen, als Studentische Praxis – auch am ACH möglich sein könnte.
Ehrenamtliche Anlaufstellen in Hamburg tendenziell überfordert
Auch in Hamburg bewegt sich die Zahl weder gesetzlich noch privat krankenversicherter Personen nach Schätzungen einschlägiger Organisationen im unteren bis mittleren fünfstelligen Bereich, offizielle Zahlen gibt es nicht. Und auch in Hamburg leben besonders viele Migranten aus Rumänien und Bulgarien und existiert eine starke Community von Migranten aus Ghana. Für die medizinische Versorgung nicht-krankenversicherter Personen sind in der Hansestadt ein halbes Dutzend Anlaufstellen entstanden, wie z.B. die Malteser Migranten Medizin in Räumen des Marienkrankenhauses oder die Praxis ohne Grenzen in Horn. Letztere hat wie die StuPoli in Frankfurt im Sommer 2014 ihre Arbeit aufgenommen; im Rahmen der feierlichen Praxiseröffnung hatte die Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storks das ehrenamtliche Engagement der beteiligten Ärzte als eine wichtige Ergänzung auch des Notfallfonds der Sozialbehörde und der Clearingstelle gelobt, die schon im Jahr 2012 auf Initiative der Hamburger Ärztekammer eingerichtet worden war.
Alle in Hamburg vorhandenen Anlaufstellen, so berichtet Herr Dr. Christoph Jermann, Geschäftsführer der AMS, aus Gesprächen mit den Verantwortlichen, sind tendenziell überfordert vom Zustrom der Patienten und würden die Entstehung einer weiteren Anlaufstelle begrüßen und unterstützen. Besonders willkommen wäre eine Einrichtung mit komplementären Angeboten. Dazu könnte eine Sprechzeit an einem bisher nicht abgedeckten Wochentag gehören, z.B. am Freitag, oder ein Schwerpunkt bei einer bisher nicht in der erwünschten Qualität verfügbaren Versorgungsleistung, z.B. der Wundversorgung oder der Versorgung Hochinfektiöser, oder ein anderes sinnvolles Profilelement, z.B. der erleichterte Zugang zu Medikamenten zu günstigen Konditionen.
StuPoli als Wahlfach am ACH grundsätzlich möglich
Der ACH hat im Verbund mit den Hamburger Asklepios Kliniken, der Zentralapotheke, dem ifi-Institut und den bereits in den Unterricht involvierten Hausarztpraxen gute Voraussetzungen für die erfolgreiche Etablierung einer Student Run Free Clinic. Er hat formal die Möglichkeit, wie Frau Franziska Holz als Studienkoordinatorin bestätigt, ein entsprechendes Wahlfach einzuführen. Der ACH verfügt im Untergeschoß von Haus XR der Asklepios Klinik St. Georg, ein paar Schritte vom Haus P der AMS entfernt, über Räumlichkeiten, die auch nach der Einschätzung des Geschäftsführenden Direktors der Klinik, Herrn Dr. Klaus Schmolling, für einen solchen Zweck ideal geeignet sind. Und nicht zuletzt würde sich ein solches Projekt nach der Überzeugung von Herrn Jermann sehr gut in das Leitbild der sozialen Verantwortung einfügen, das zusammen mit den Leitbildern der medizinischen Qualität und der Innovation die Vision von Asklepios umschreibt. Herr Jermann wies dabei auf die Freitagsmail von Herrn Dr. Ulrich Wandschneider, dem Vorsitzenden der Konzerngeschäftsführer, hin, in der dieser unter der Überschrift „Spendenaktionen und Hilfsprojekte: Soziale Verantwortung ist bei Asklepios gelebter Alltag“ von ganz unterschiedlichen Initiativen gesellschaftlichen Engagements von Asklepios Mitarbeitern und Kliniken berichtete.
Auch nach dem Ende des offiziellen Teils der Veranstaltung wurden die Gäste bei Bier und Bretzeln noch lange von interessierten Studierenden umringt. Die StuPoli-Vertreter sagten alle Unterstützung zu, sollte der ACH grünes Licht für die Gründung einer ähnlichen Einrichtung bekommen, und sprachen schon im voraus eine Einladung nach Frankfurt aus, wenn sich eine studentische Arbeitsgruppe am ACH bildete.
Eine entscheidende Voraussetzung für eine Student Run Clinic ist in der Tat eine core group von begeisterten und einsatzbereiten Studierenden, die Verantwortung für die Konzeption, Planung und Organisation übernehmen wollen. Diese Anforderung war am ACH im Handumdrehen erfüllt. Kaum hatten die Gäste das Gebäude verlassen, füllten Leonard Großmann und Tobias Ludwig ein Arbeitsgruppen-Formular aus und eröffneten eine „AG StuPoli am ACH“. Nach nur zwei Tagen hatten sich an dem Aushang am Whiteboard im Medienzentrum bereits 50 Studierende als Mitglieder eingetragen, das ist mehr als einem Viertel aller Studierenden am ACH.